Vernehmlassung zum Bericht und Vorentwurf der Arbeitsgruppe „Verwahrung“
(Vernehmlassungsfrist 15. Dezember 2004)

DJS JDS GDS
Neuengasse 8, 3011 Bern

Bern, den 13. Dezember 2004


Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
Herrn Bundesrat Christoph Blocher
Bundeshaus
3003 Bern

Vernehmlassung der Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz Zum Bericht und Vorentwurf der Arbeitsgruppe „Verwahrung“ (Vernehmlassungsfrist 15. Dezember 2004)

Sehr geehrter Herr Bundesrat
Sehr geehrte Damen und Herren

Wir danken Ihnen für die Gelegenheit, zu der oben aufgeführten Vorlage wie folgt Stellung nehmen zu können:

Einleitende Vorbemerkung
Der Vorsteher des EJPD setzte im Frühling 2004 eine Arbeitsgruppe ein mit dem Auftrag, gesetzliche Aus-führungsbestimmungen zur neuen Verfassungsbestimmung Art. 123a BV zu entwerfen. In Erfüllung dieses Auftrags legte die Arbeitsgruppe Entwürfe vor zur Neufassung der Art. 64 Abs. 3 (betreffend Anordnung der lebenslänglichen Verwahrung), Art. 64c (Entlassung aus der lebenslangen Verwahrung) sowie Art. 380bis (Haftung der Behörden). Die Arbeitsgruppe legte ergänzend dazu Entwürfe zu weiteren Gesetzesartikeln vor (Art. 56, 59, 62, 62a, 62c, 62d, 63, 64 Abs. 1, 64b, 65, 75a, 87).
Insgesamt soll damit das von den Räten beschlossene Massnahmenrecht in zentralen Teilen umgestaltet werden. Die Vertreterinnen des Initiativkomitees – die mit Blick auf die Umsetzung der Verwahrungsinitiative in der Arbeitsgruppe Einsitz nahmen – weisen sogar darauf hin, „dass der vorliegende Gesetzesentwurf ein ausgewogenes Gesamtkonzept“ sei (und fügen an, sie würden es „nur mittragen, solange es intakt bleibt“ ).
Diese doch eher ungewöhnliche Mitwirkung von Mitgliedern eines Initiativkomitees in einer Expertengruppe, die in ausdehnender Auslegung des Auftrags des EJPD ein neues Konzept des Massnahmenrechts ausarbeitet, halten wir für problematisch.

Zu diskutieren sind somit nun Änderungsvorschläge, die weit über die in der Volksabstimmung vom 8. Feb-ruar 2004 hinausgehen und in wesentlichen Teilen bereits Gegenstand der parlamentarischen Debatten wa-ren.
 
Die Umsetzung der Verwahrungsinitiative

1. Anordnung der lebenslangen Verwahrung
Gemäss Initiativtext sind (a) „Sexual- oder Gewaltstraftäter“, die (b) „als extrem gefährlich erachtet“ und (c) „nicht therapierbar eingestuft werden“ lebenslänglich zu verwahren. In der Abstimmungsdebatte bestand Einigkeit darüber, dass damit eine sehr kleine Zahl von Tätern gemeint ist. Regelmässig wurden namentlich bekannte Mörder mit sexuellen Motiven genannt, konstant wurde die Zahl der extrem gefährlichen, unbehandelbaren Täter auf ca. 20 bis 30 beziffert .

2. Anlasstat
Nach dem Willen der Arbeitsgruppe soll die lebenslange Verwahrung nicht nur bei (Sexual-)Mord oder schwerwiegenden Vergewaltigungen angeordnet werden können, sondern bei irgendeinem Verbrechen, mit welchem der Täter jemand in seiner physischen, psychischen oder sexuellen Integrität schwer beinträchtigte oder beeinträchtigen wollte. Als Täter kommt also der drohende Nachbar oder der rasende Unfallverursacher in Frage. Der Gesetzestext hat sich meilenweit vom Initiativtext entfernt.
Er bietet dem Richter keine Richtschnur für die Anwendung der lebenslangen Verwahrung. 

3. Extreme Gefährlichkeit
Nach der Vorstellung der Arbeitsgruppe soll es für eine lebenslange Verwahrung genügen, wenn beim Täter im Vergleich zu andern Tätern solcher Delikte eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass er ein weite-res Verbrechen „dieser Art“ begeht. Es genügt also die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Nachbar wei-terhin droht oder der Automobilist erneut rast. Unter „extremer Gefährlichkeit“ verstanden die Stimm-bürgerInnen mit Sicherheit etwas anderes. 

4. Nicht therapierbar
Die ganz überwiegende Auffassung in der Psychiatrie ist, dass kein seriöser Psychiater jemanden auf Le-benszeit als unbehandelbar einstufen kann . Damit erweist sich die Verwahrungsinitiative als kaum je an-wendbar. Der drohenden Nicht-Anwendung tritt die Arbeitsgruppe mit folgender gesetzlichen Definition entgegen: Als unbehandelbar gilt jemand, „weil die Behandlung langfristig keinen Erfolg verspricht“. (Fast) so wenig wie man die dauerhafte Unbehandelbarkeit voraussagen kann, kann man einen langfristigen Thera-pieerfolg „versprechen“. Das Eingangskriterium der Unbehandelbarkeit wurde von der Arbeitsgruppe auf den Kopf gestellt.
 
5. Gutachten
In Art. 56 Abs. 4bis wird verlangt, dass zwei Gutachten zu erstellen sind, wenn eine lebenslange Verwah-rung in Betracht kommt. Es ist zu bedauern, dass das Gesetz das, vor der Abstimmung Gesagte nicht klarstellt: nämlich dass lebenslange Verwahrung nur angeordnet werden darf, wenn die beiden Gutachter diese befürworten.

6. Fazit
Während der Initiativtext kaum überwindbare Hürden für die lebenslange Verwahrung aufstellte, findet sich im Gesetzestext nur noch eine relativ tiefe Schwelle für deren Anordnung . Dem Richter werden keinerlei Richtlinien für die Anwendung der lebenslangen Verwahrung zur Verfügung gestellt. Der Gesetzestext hat kaum noch etwas mit dem Text zu tun, über den das Volk abgestimmt hat.
 

Die Ueberprüfung der lebenslangen Verwahrung
Eine völkerrechtskonforme Umsetzung des Initiativtextes unter Respektierung des Volkswillens ist nach unserer Auffassung kaum möglich. Sie kommt der Quadratur des Kreises gleich. Auch der vorliegende Ge-setzestext widerspricht – da sind sich wohl alle ernst zu nehmenden JuristInnen einig – Art. 5 Ziff. 4 EMRK und Art. 9 Abs. 4 UNO-Pakt II . Im Widerspruch zu den genannten Bestimmungen steht insbesondere, dass kein Gericht auf Gesuch hin die Rechtmässigkeit der Verwahrung prüfen darf. Die in Art. 64c vorgesehene Behörde ist kein Gericht; und - vor allem - die Behörde ist nicht befugt, über eine Entlassung des Verwahrten zu entscheiden.

Fazit/Vorschlag
Zu den Voraussetzungen der lebenslangen Verwahrung: Die Initiative wird nicht konkretisiert, sondern deutlich ausgeweitet. Die restriktiven Kriterien des Initia-tivtextes für die Anordnung der lebenslangen Verwahrung sind zu belassen. Die mit den Formulierungen der Initiative geschaffenen Probleme sind solche der Rechtsanwendung und nicht der Gesetzgebung. Art. 123a BV ist direkt anwendbar und kaum weniger justiziabel als eine StGB-Norm, die sich inhaltlich mit dem Initiativtext deckt. Auf eine ausführende Gesetzgebung ist deshalb zu verzichten.

Zur Ueberprüfung: Will man den in der Bundesverfassung, der EMRK und im UNO-Pakt II verankerten rechtstaatlichen Mindeststandard respektieren, führt kein Weg am Richter vorbei, der die Befugnis haben muss, über die Recht-mässigkeit der Fortsetzung der Verwahrung zu entscheiden. Ein EMRK-Experte ist zu beauftragen, einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten. 

ZU den Vorschlägen der Arbeitsgruppe zu weiteren Aenderungen des StGB in der Fassung vom 13. Dezember 2002

1. Einführung der nachträglichen Verwahrung
Die Arbeitsgruppe verhehlt nicht, dass die nachträgliche Verwahrung schon während der Parlamentsdebatte einlässlich diskutiert und „von praktisch allen angehörten Experten als mit der Verfassung und der EMRK unvereinbar erklärt wurde“. Die nachträgliche Verwahrung ist eine Missachtung des in jedem Rechts-staat geltenden Verbots, niemanden für eine strafbare Handlung (ein zweites Mal) zu verfolgen oder zu bestrafen, für das er schon rechtskräftig verurteilt wurde . Es handelt sich um ein ähnlich tragenden Grundsatz wie „keine Strafe ohne Gesetz“. Das Institut der nachträglichen Verwahrung knüpft notwendigerweise an die Anlasstat an. Sie ist die Legitimationsgrundlage und entfaltet zugleich legitimierende Wirkung für die Strafe. Hat der Täter seine Strafe verbüsst, so ist das von ihm begangene Unrecht abgegolten. Seine Tat kann nicht erneut herangezogen wer-den um nochmals (eine zweite) strafrechtliche Sanktion auszusprechen. Daran kann und darf sich auch nichts ändern, wenn der Verurteilte während des Strafvollzugs weiterhin als gefährlich eingestuft wird . Die Rechtslage ist genau so wie bei einem Menschen, der sich (noch) nicht strafbar gemacht hat.

Wird bei jemandem, der keine Straftat begangen hat - im Sinn von Art. 64 - „ernsthaft erwartet, dass er ein Verbrechen begeht, durch das er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwerwie-gend beeinträchtigt“ besteht kein Raum für eine Strafe und erst recht nicht für eine Verwahrung. In solchen Fällen bestehen durchaus andere staatliche Interventionsmöglichkeiten (z.B. fürsorgerische Freiheitsentzie-hung wegen Fremdgefährdung, u. U. strafprozessuale Intervention).
Immer – und erst recht in einem liberalen Rechtsstaat – hat aber die Gesellschaft damit zu leben, dass schwerwiegende Straftaten geschehen – auch in unserer Zeit, in welcher die Bedrohung durch Straftaten die Oeffentlichkeit in einer Art beschäftigt, die sich mit der Kriminalitätsentwicklung in keiner Weise begründen lässt.

Straftaten können nicht durch präventive Wegschliessung aller potentieller Täter aus der Welt geschaffen werden – auch dann nicht, wenn man daran glauben wollte, schwerwiegende Delinquenz lasse sich voraussagen. Mit einem juristischen Kniff versucht die Arbeitsgruppe die nachträgliche Verwahrung rechtlich zu legitimieren. Sie soll nur zulässig sein, wenn die Voraussetzungen dafür „im Zeitpunkt der Verurteilung bereits bestanden haben“. Damit soll - anknüpfend an das Rechtsmittel der Revision - das alte Urteil abgeändert werden können. Der Kniff muss allerdings ohne Wirkung bleiben: Eine Revision zu Ungunsten eines Verurteilten verstösst genau so gegen rechtsstaatliche Standards wie Verstösse gegen den Grund-satz „ne bis in idem“ und „keine Strafe ohne Gesetz“.

Alarmierend ist, dass die Arbeitsgruppe die nachträgliche Verwahrung ohne Vorliegen eines konkreten Anlasses und ohne gesetzliche Einschränkungen zulassen will: Sibyllinisch heisst es in Art. 65 Abs. 2: „Erweist sich bei einem Verurteilten während des Vollzuges der Freiheitsstrafe, dass die Voraussetzungen der Verwahrung (…) gegeben sind und im Zeitpunkt der Verurteilung bereits bestanden, so kann das Gericht diese Massnahme nachträglich anorndnen“. Zum Ausdruck kommt damit eine eigentliche Wahrheitserwar-tung an die Gefängnis-Psychiatrie bzw. -psychologie: Wer anders als der Gefängnispsychologe (bzw. die wenigen Psychiater) soll behaupten, es habe sich erwiesen, dass das Gericht zu Unrecht keine Verwahrung angeordnet hat? Und woraus soll der Psychologe/Psychiater seine Überzeugung gewinnen? Soll ausgerech-net ein Therapeut darüber entscheiden, ob das Gerichtsurteil noch einmal aufzurollen ist?

In Anbetracht all dieser Fragezeichen mutet es geradezu provokativ an, dass die Arbeitsgruppe die Forderung der nachträglichen Verwahrung nicht - jedenfalls nicht brauchbar - begründet / und gleich noch Übergangsbestimmungen vorschlägt, die jedem Rechtsstaat zur Schande gereichen würden. Die Arbeitsgruppe macht immerhin etwas klar: Falls sich im Vollzug erweisen sollte, dass die Verwahrung zu Unrecht ausgesprochen wurde soll es dabei bleiben; eine Wiederaufnahme zu Gunsten des Verurteil-ten soll es auch bei Vorliegen neuer Beweismittel nicht geben (Art. 385 Abs. 2).

2. Herabsetzung der Anforderungen an die (nicht-lebenslange) Verwahrung - Verwahrung als ultima ratio
Der zeitlich unbegrenzte Freiheitsentzug (Verwahrung und lebenslange Zuchthausstrafe) ist der schwerwie-gendste Eingriff unserer Rechtsordnung. Es ist die Verurteilung zu einem Leben ohne Perspektive, mit äus-serst geringen Aussichten auf Vollzugslockerungen, und noch weniger Aussichten auf Entlassung . Die Zahl der Verwahrten hat sich in den letzten 10 Jahren verdreifacht. Das Wesen der Verwahrung liegt nicht nur im unbegrenzten Freiheitsentzug, sondern vor allem in Folgen-dem: Sie ist nicht im Verschulden des Täters begründet (dafür verbüsste er die dem Verschulden angemessene Strafe), sondern in der ihm attestierten Gefährlichkeit; dem Verwahrten wird nicht seine Tat, sondern seine Persönlichkeit zum Verhängnis.

Die Verwahrung erfolgt schuldunabhängig, weil sich die Gesellschaft - präventiv - vor dem Verwahrten schützen will. Man kann von „Quarantäne“ sprechen. Schuldunabhängige Verwahrungen sind ethisch und rechtlich natürlich viel problematischer als schuldab-hängige Freiheitsstrafen. Umso mehr muss das Legalitätsprinzip beachtet werden, d.h. die Voraussetzungen einer Verwahrung müssen im Gesetz möglichst genau umschrieben sein. Der bisherige Verwahrungs-Artikel (Art. 43 Abs. 1 Ziff. 2) wurde kritisiert weil er zu weit gefasst war. So lässt er (im Unterschied zu ausländischen Rechtsordnungen) die Verwahrung auch für Ersttäter zu - obwohl ohne Vordelinquenz eine Legalprognose noch schwieriger ist als sonst; daran wurde nichts geändert. Gestrichen wurde im Zuge der Revis-on des Allgem. Teils des StGB auch noch das (normalerweise aussagekräftige) Kriterium der psychischen Störung. Um der Anwendung der Verwahrung doch noch Grenzen zu setzen, verlangte das Parlament eine qua-lifizierte Anlasstat (Strafdrohung von zehn Jahren oder mehr).

Der Vorschlag der Arbeitsgruppe als Leerformel
Die Arbeitsgruppe will nun nicht nur das Kriterium der Vorstrafe und der psychischen Störung fallenlassen, sondern auch noch das Erfordernis einer schwerwiegenden Anlasstat. Als Anlasstat soll zudem jedes Ver-gehen genügen (bis hin zu Hausfriedensbruch und Sachentziehung). Einzige Richtschnur bildet dabei die Frage, ob „aufgrund besonderer Umstände ernsthaft zu erwarten“, ist dass der Täter ein „Verbrechen begeht, durch das er die physische, psychische oder sexuelle Integrität eines andern Menschen schwerwiegend beeinträchtigt“. Die „besonderen Umstände“ sind eine Leerformel und können genau so gut weggelassen werden. Mit andern Worten: „Der Richter ordnet die Verwahrung an, wenn er ernsthaft erwartet, ein Delinquent werde die physische, psychische oder sexuelle Integrität eines andern Menschen schwerwiegend beeinträchti-gen“.
Ausgerechnet die schwerwiegendste und problematischste Sanktion unserer Rechtsordnung würde damit im Gesetz so unbestimmt geregelt, dass man von einer Leerformel sprechen muss. Man könnte nämlich auch gleich sagen: „Der Richter ordnet die Verwahrung an, wenn sie verhältnismässig erscheint“. Eine der tragenden Prinzipien eines Rechtsstaats - das Legalitätsprinzip - wird in bedenklicher Wei-se ignoriert. Es kann nicht sein, dass bei praktisch allen StraftäterInnen (d.h. Zehntausende jährlich), die objekti-ven Voraussetzungen für die Anordnung einer Verwahrung gegeben sind und alles in der Frage kul-miniert, ob ernsthaft zu erwarten sei, der Täter werde die Integrität einer anderen Person schwerwiegend beeinträchtigen.
Zur Wahrung der Verhältnismässigkeit ist eine gravierende Anlasstat unabdingbar. Die vom Parlament gefundene Formulierung ist angemessen. Wenn man es unverzichtbar findet, dass auch bei nicht-nötigenden sexuellen Handlungen mit Kindern (Vergehen nach Art. 187) Verwahrungen angeordnet werden können , so wäre dies ausdrücklich in das Gesetz aufzunehmen. Den Richter zu verpflichten, auch bei Drohungen, einfachen Körperverletzungen oder noch weit unbedenklicheren Delikten (Hausfriedens-bruch, Diebstahl, Strassenverkehrsdelikte und viele mehr) die Anordnung einer Verwahrung zu prüfen ist unakzeptabel und mit dem Legalitätsprinzip unvereinbar.

Weitere Kritik
Die Antwort auf die gemäss Arbeitsgruppe einzig zu stellende Frage (ernsthafte Erwartung der Beeinträchti-gung der Integrität eines Anderen) besteht in einer Prognose. Einzig die Prognose soll über über die schicksalshafte Frage der Verwahrung entscheiden. In der Praxis wird die Prognose wohl vom Psychiater zustellen sein. Dies auch wenn man sich fragen muss, weshalb der Psychiater dazu besonders befähigt sein soll, nachdem das Parlament beschlossen hat, dass die Verwahrung losgelöst von einer psychiatrischen Di-agnose angeordnet werden kann. Da die Prognose zum alles entscheiden Faktor wird, hat der Psychiater, die für die Verwahrung massgebliche Entscheidung zu fällen. Seine Prognose ist für den Richter grundsätzlich verbindlich . Der Psychiater wird zum „Richter in weiss“. Der Richter wird weitgehend zum Vollzugsbeamten.

Es ist einerseits rechtsstaatlich bedenklich, ein Gesetz zu schaffen, das dem Richter nur ein relevantes, zudem gänzlich konturenloses Entscheidkriterium vorgibt, über welches eine ausserhalb des Gerichts tätige Person zu befinden hat. Die Entscheidkompetenz wird ausgelagert in die Praxis des Psychiaters. Legalitätsprinzip, Gewaltenteilung und freie richterliche Beweiswürdigung werden ausgehebelt. Andererseits bestehen gewichtige Bedenken aus demokratischer Sicht: Der eigentliche „Prozess“, nämlich die massgebliche Entscheidfindung, spielt sich ausserhalb der demokra-tisch legitimierten Strukturen ab. Während der Richter als gewählter Amtsträger in einem öffentlichen Ver-fahren mit Aktenführung und etablierten Verfahrensrechten entscheidet, kommt die psychiatrische Beurtei-lung in einem geheimen, nicht dokumentierten Vorgang zustande. Die für ein Gerichtsverfahren geltenden Überprüfungs- und Kontrollmöglichkeiten bestehen bei einer Begutachtung nicht. Es bleibt nur das Vertrauen in die Kompetenz, die Unvoreingenommenheit und die Sorgfalt des Psychiaters.

Das fällt nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass man bei Prognose-Gutachten „letztendlich an der auf der individuellen Erfah-rung beruhenden, aber unüberprüfbaren Einstellung des einzelnen Gutachters haften“ bleibt . Daran ändern die jüngeren Versuche nichts, mit riesigen Kriterienkatalogen den Prognosen den Anschein von objektiver Verlässlichkeit zu verleihen . Wie unsicher die psychiatrischen Diagnosen sind, zeigt sich bei einer Betrachtungsweise, die genau so nötig wie vernachlässigt ist: Heute leben in der Schweiz ca. 150 Verwahrte, etwa drei Mal mehr als vor zehn Jahren (Tendenz weiterhin zunehmend!). In der Schweiz sind bezogen auf die Einwohnerzahl fünf Mal mehr Menschen verwahrt als in Deutschland . Schon vor zehn Jahren wurde geschätzt, dass in Deutschland von drei als gefährlich verwahrten psychisch gestörten Straftätern nur einer im Falle seiner Entlassung erneut straffällig würde. Es kann nur spekuliert werden, ob heute jeder Dritte oder jeder Sechste straffällig würde, wenn man alle – wovon niemand spricht! – Verwahrten entlassen würde. Allein die obigen Zahlenvergleiche (die in keinem Verhältnis zur effektiven Gewaltkriminalität stehen) zwingen zum Schluss, dass jedenfalls eine klare Mehrheit der Verwahrten nicht rückfällig würde.

Die Frage ist allerdings, wer zu dieser Mehrheit gehört. Und genau diese Frage kann die Psychiatrie nicht beantworten oder will es – wegen der damit verbundenen Verantwortung – nicht. Ist die Psychiatrie aber ausserstande eine verlässliche (günstige) Prognose bei Verwahrten zu stellen, ist nicht zu erwarten, dass die ungünstigen Prognosen, die zur Verwahrung führen, verlässlicher sind.

Herabsetzung der Anforderung für die stationäre Behandlung (Art. 59)
Während die Gesetzesvorlage des Parlaments für freiheitsentziehende stationäre Behandlungen eine schwere psychische Störung verlangt, genügt es der Arbeitsgruppe, wenn ein Delinquent „besondere Persönlichkeitsmerkmale aufweist“. Die Frage sei an dieser Stelle gestattet, ob es den Mitgliedern der Arbeitsgruppe gefiele, wenn man ihnen attestieren würde, sie besässen keine besonderen Persönlichkeitsmerkmale. Die Formulierung der Arbeitsgruppe ist nicht nur unsinnig, sondern auch beunruhigend. Beunruhi-gend, weil das rechtsstaatliche Erfordernis, Freiheitsentzüge gesetzlich einzugrenzen, derart krass ignoriert wird. Beunruhigend auch, weil damit ein weiteres Mal die Kompetenz für den Freiheitsentzug weitestgehend dem Psychiater zugeschrieben wird.
Als einzige Voraussetzung für den Freiheitsentzug wird verlangt, dass sich der Gefahr weiterer Straftaten (irgendwelcher Art und Schwere!) durch eine stationäre Behandlung „begegnen“ lasse. Damit wird einer Psychiatrisierung jeglichen (!) delinquenten Verhaltens das Feld geebnet, die ganz üble Vorbilder hat. Die Arbeitsgruppe hält es nicht nur bei den schwerwiegendsten Taten gegen Leib und Leben, sondern bei jeder delinquenten Auffälligkeit für richtig, Menschen aus der Gesellschaft zu entfernen und sie wegzusper-ren, so lange ihr „Zustand es rechtfertigt“ (Art. 62 Abs. 1).

Dass auch hier die Psychiatrie Herrin über Freiheit und Freiheitsentzug ist, versteht sich von selbst. Ihr Konzept der Herstellung öffentlicher Sicherheit illustriert die Arbeitsgruppe in Art. 59 Abs. 3 gleich nochmal: Solange die Gefahr besteht, der Delinquent werde (irgendwelche!) weiteren Straftaten begehen, kann die „Behandlung“ sogar im Gefängnis fortgesetzt werden. 

Zusammenfassende Beurteilung der DJS 
Die Voraussetzungen für die Anordnung einer lebenslangen Verwahrung wurden gegenüber dem Ini-tiativtext massiv herabgesetzt. Das Erfordernis der Unbehandelbarkeit wurde praktisch fallengelassen.
- Die vorgesehenen Überprüfungsmöglichkeiten bei der lebenslangen Verwahrung sind mit dem inter-nationalen Recht nicht vereinbar. 
- Die neu formulierten Voraussetzungen für die nicht-lebenslange Verwahrung kommen einer Leerfor-mel gleich. Damit ist das Legalitätsprinzip missachtet. 
- Mit den neu formulierten Voraussetzungen für eine stationäre Behandlung droht eine flächendeckende Psychiatrisierung von Klein-Delinquenten.
- Mit der nachträglichen Verwahrung werden internationale Rechtsstandards verletzt (EMRK und UNO-Pakt II).
Die Arbeitsgruppe:
ist mit ihrem Entwurf weit über den ihr erteilten Auftrag hinausgegangen und stellt ein Sicherheitskonzept vor, das auf Ausgrenzung und Eliminierung aus der Gesellschaft basiert
missachtet mit der extensiven Auslegung der Verwahrungsinitiative den Volkswillen
schlägt ein Konzept vor, in dem die Definitionsmacht über Freiheit oder Freiheitsentzug weitestgehend bei der Psychiatrie liegt und 
hebelt damit die demokratisch gewählten und kontrollierten Gerichte aus und 
setzt sich über international anerkannte Rechtsstandards hinweg.
 
Wir hoffen, dass unsere Ausführungen in die weitere Beratung dieser äusserst heiklen Vorlage einfliessen können und verbleiben mit freundlichen Grüssen für die DJS
Catherine Weber
Geschäftsführerin


Beilage: Fussnoten separat ausgedruckt
1u. 2 Bericht, Ziff. 3.2 Statt vieler Zitate: „Das Problem betreffe etwa 20 bis 30 hochgefährliche Straftäter, sagte BR Blocher, der die Initiative ursprünglich unterstützt hatte.“ (Basler Zeitung, vom 20.1.2004). Anita Chaaban, Mitinitiantin, zur Zahl den unbehandelbaren Täter: „das sind 10 Prozent der Verwahrten.“ (NLZ vom 27.1.2004), d.h. lediglich 15 (bei ca. 150 Verwahr-ten).
3„Kein seriöser Psychiater ist in der Lage, einen Patienten auf Lebenszeiten als nicht behandelbar zu taxieren“ (DITT-MANN, in „facts“ vom 12.2.2004).
4 In Anbetracht der vorgeschlagenen Abschwächungen des Initiativtextes ist für uns nicht nachvollziehbar, weshalb Bundesrat Blocher immer noch davon spricht, die lebenslange Verwahrung werde nur 20 bis 30 der insgesamt ca. 150 Verwahrten treffen (Tages-Anzeiger vom 16.9.2004).
5 TRECHSEL, Von der Initiative zum Strafgesetz, in: Jusletter 17.5.2004 und „Bund“ vom 16.9.2004; FORSTER, Lebenslange Verwahrung: Zur grundrechtskonformen Auslegung von Art. 123a BV, in: AJP 2004, S. 418 ff.
6 Bericht, S. 36 7 Grundsatz des „ne bis in idem“; z.B. in Art. 4 Abs 1 des Prot. Nr. 7 zur EMRK, Art. 14 Abs. 7 UNO-Pakt II
8 vgl. Deutsches Bundesverfassungsgericht, in Europ. Grundrechtezeitschrift, S. 89 ff., insb. 108.
9 vgl. die Untersuchung über die tendenziell rückgängige Kriminalitätsentwicklung von NIGGLI, plädoyer 5/2004, S. 32 ff
10 „Vier von fünf schweren Straftaten werden nicht von Leuten begangen, die schon einschlägig bekannt sind - sondern von Leuten, mit denen ich soeben Tram gefahren bin.“ BAECHTOLD, im „Bund“ vom 23.1.2004
11 Die Meinung von URBANIOK „Verdeutlichen wir uns zunöchst eine simple Tatsache: Jede Tat ist vorauszusagen bzw. im Vorfeldzu erkennen!“ (Was sind das für Menschen - was können wir tun, S. 218) ist eine Extremposition, die „die Gefährlichkeitsprognose selber gefährlich macht“ (GMÜR, Die Gefährlichkeitsprognose, in: AJP, S. 1307 ff.). Sie för-dert in der Öffentlichkeit unrealistische Erwartungen und weckt damit die Bereitschaft, mit Errungenschaften eines demokratischen-liberalen Rechtsstaates zu brechen.
12 vgl. die saloppen Ausführungen auf S. 36
13Medienberichten folgend darf man annehmen, dass der Anstoss aus Zürich kam. Es wird geltend gemacht, dass man Personen wegen Ablaufs der Freiheitststrafe trotz ungünstiger Prognose habe entlassen müssen und es zu Rückfällen gekommen sei. Der Bericht enthält dazu nichts, trotz Einsitz des Chefs des gefängnispsychiatrischen Dienstes des Kt. Zürich, Dr. Urbaniok. Vom Hören-Sagen kann man aber auch annehmen, dass alle diese Personen vor 1993 verurteilt wurden und seither anders entschieden wird, weshalb heute kein Handlungsbedarf bestehen würde.
14 Jährlich wird durchschnittlich ein Verwahrter (von ca. 150 Verwahrten) entlassen; vgl. NIGGLI. Fn. 9.
15 BAECHTOLD, im Bund vom 23.1.2004, NIGGLI, Fn. 9
16 was wir wegen der weiten Auslegung von Art. 189 (Verbrechen der sexuellen Nötigung) bezweifeln; vgl. BGE 124 IV 158 ff.
17 Der Richter darf von der gutachterlichen Beurteilung nur abweichen, „wenn wirklich gewichtige zuverlässig begrün-dete Tatsachen oder Indizien deren Ueberzeugungskraft erschüttern“ (BGE 101 IV 130 und spätere Bestätigungen). Welche Tatsachen oder Indizien könnten dem Richter ausgerechnet bei einer Prognose zu einer Abweichung ermächti-gen?
18 so immerhin NEDOPIL (zitiert nach KUNZ, ZStrR 1999, S. 234ff.)
19 Damit soll nicht das begrüssenswerte Bestreben nach mehr Qualität in Frage gestellt werden, sondern auf die Grenzen des Voraussagbaren hingewiesen werden. Diese Grenzen werden von der ganz überwiegenden Mehrheit der forensischen Psychiatrie anerkannt (vgl. nur schon DITTMANN, in Fn. 3, ausführlich: GMÜR, Fn. 11); in Abweichung dazu die „Zürcher Schule“ unter Dr. Urbaniok.
20 www. statistik.admin.ch bzw. www.destatis.de
21 KINZIG, Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 129
22 Nur allzu verständlich, wenn ein Gutachter mit Blick auf sein weiteres Fortkommen im Hinterkopf die (ausbleiben-den) Konsequenzen einer falschen ungünstigen Prognose mit den (schwerwiegenden) Konsequenzen einer falschen günstigen Prognose vergleicht.
23 Wenn gewisse forensische Psychiater die hohe Trefferquote ihrer Prognosen anpreisen, kann jedenfalls nur die Quote der ungünstigen Prognosen gemeint sein. Und dass diese Quote sehr vorteilhaft ist erstaunt nicht. Das Rezept für eine 100%-Quote ist ja einfach: man stelle nur schlechte Prognosen!
24 Darunter fällt z.B. durchaus auch „Schwarzfahren".