Bern, 24. November 2015

Seit Januar 2014 werden im Bundeszentrum „Juch“ in Zürich beschleunigte Asylverfahren erprobt. Ein von den Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS) in Auftrag gegebenes Gutachten stellt nun die Verfassungsmässigkeit mehrerer Aspekte des Testverfahrens in Frage, insbesondere hinsichtlich der Garantie eines fairen Verfahrens. Umso brisanter ist dies vor dem Hintergrund der in der Herbstsession 2015 beschlossenen – nochmals verschärften – Überführung der Testphasenverordnung in das revidierte Asylgesetz. Die DJS wehren sich gegen den weiteren Abbau eines wirksamen und fairen Asylverfahrens und lehnen das neue Gesetz ab.

Gutachten kritisiert beschleunigte Asylverfahren

Am 28. September 2012 wurde in einem dringlichen Bundesgesetz dem Bundesrat die Kompetenz übertragen, zur Beurteilung neuer Verfahrensabläufe die Verfahrensordnung zum Asylrecht auf Verordnungsstufe (sog. Testphasenverordnung) zu regeln und zu diesem Zweck vom Asyl- und Ausländergesetz abzuweichen. Ein von den DJS bei der renommierten Migrationsrechtsexpertin Martina Caroni, Professorin an der Universität Luzern, in Auftrag gegebenes Gutachten stellt nun die Verfassungsmässigkeit mehrerer Aspekte des Testverfahrens in Frage, insbesondere hinsichtlich der Garantie eines fairen Verfahrens. Die bereit gestellte Rechtsvertretung vermag in dieser Ausgestaltung die Einschränkung der verfassungsmässigen Verfahrensrechte nicht hinreichend zu kompensieren. Das Gutachten widerspricht damit den Resultaten der externen Evaluation, die eine positive Zwischenbilanz zogen. Das Gutachten wurde heute auf der Website der DJS publiziert (www.djs-jds.ch).

Keine Sonderrechte, keine Lager

Die Kritik im Gutachten erhält besondere Brisanz vor dem Hintergrund der in der Herbstsession 2015 beschlossenen Überführung der Testphasenverordnung in das Asylgesetz. Mit dieser wurden gerade in den sensibelsten Bereichen weitere Verschärfungen vorgenommen. So wurde das Hauptverfahren mit der Anhörung zu den Asylgründen auf gerade mal 8 Tage (Art. 37 Abs. 2 rev. AsylG) und die Beschwerdefrist auf 7 Tage gekürzt (Art. 108 Abs. 1 rev. AsylG). Diese Verkürzungen um ein paar Tage erschweren den Zugang zum Recht ganz erheblich, leisten aber nur einen äusserst geringen Beitrag zu einer Beschleunigung der Verfahren, hat sich doch die Verfahrensdauer insgesamt um durchschnittlich 259 Tage verkürzt. Dies wirft die Frage auf, ob die Beschränkung des Rechtsweges nicht doch eigentliches Motiv der Revision ist.
Mit der beschlossenen Revision des Asylgesetzes werden auch die Bundeszentren zum Normalfall, welche Asylsuchende isolieren und einem Sonderrecht unterstellen. In sogenannten „Besondere Zentren“ sollen gestützt auf höchst unbestimmten Kriterien „renitente“ Asylsuchende gesammelt werden. Die DJS halten diese Entwicklung nicht nur in juristischer Hinsicht für hochproblematisch, sondern sehen darin auch eine gesellschaftspolitische Gefahr. Auch warnen die DJS davor, den verschiedentlich positiv bewerteten Betrieb des Testzentrums vorschnell und unkritisch als bewährtes Modell anzupreisen.

Notwendigkeit offensiver Kritik

Mit einigem Erstaunen haben die DJS die fast einhellige Unterstützung des revidierten Asylgesetzes vonseiten linker, liberaler und sozialer ParlamentarierInnen zur Kenntnis genommen. Dass einzig von rechtspopulistischer Seite Kritik („Gratisanwälte“) an der Asylreform geübt wird, mag ein Zeichen politischer Ohnmacht und juristischer Hilflosigkeit sein. Die DJS erachten es als wenig fruchtbar, die massive Einschränkung des Zugangs zum Recht und einem justizförmiges Verfahren kritiklos hinzunehmen – wir halten eine Lagerpolitik mit Sonderrecht für brandgefährlich.
Es darf nicht sein, dass sich die progressiven Kräfte in der Schweiz auf die Stimmungsmache rechtskonservativer und nationalistischer Strömungen einlassen. Das erstickt einen mutigen und ehrlichen Diskurs in der offenen Gesellschaft bereits im Keim. Die DJS fordern alle kritischen JuristInnen, Anwalts- bzw. Berufsverbände, aber auch die Wissenschaft auf, sich nicht länger in Zurückhaltung zu üben, sondern den Mut zu haben, dieser Entwicklung, die letztlich das Recht als ganzes in Frage stellt, entgegenzutreten. Die Menschen, die sich im Alltag und in der Praxis gegen Ausgrenzung und Xenophobie engagieren, ermutigen wir beherzt weiterzumachen. In diesem Sinne bekunden die DJS ihre Ablehnung gegenüber dem weiteren Abbau eines wirksamen und fairen Asylverfahrens und gegenüber dem revidierten Asylgesetz.

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