Menschen in Untersuchungshaft (U-Haft) sind nicht rechtskräftig verurteilt und haben somit als unschuldig zu gelten. Die Anordnung und Ausgestaltung der Untersuchungshaft hat dem Grundsatz der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen und muss verhältnismässig sein. Das heisst, dass die Freiheit von Personen nur soweit eingeschränkt werden darf, als dies notwendig ist, um ein unerwünschtes Einwirken auf das Strafverfahren, sei es durch Flucht oder Kollusion, zu verhindern.

Doch für Personen in der U-Haft gilt ein strengeres Regime als für verurteilte StraftäterInnen und die strafprozessuale Zwangsmassnahme verkommt letztlich zu einer vorgezogenen Bestrafung ohne Schuldspruch.
Neben vielen anderen Fachleuten kritisieren auch die Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS) die Praxis der Strafverfolgungs- und Strafvollzugsbehörden sowie der Gerichte im Bereich der Untersuchungshaft scharf.

In manchen Kantonen können die Inhaftierten ihre kleine Zelle während 23 Stunden pro Tag nicht verlassen. Besuche von Angehörigen und Bekannten sind ihnen – wenn überhaupt – zeitlich nur sehr beschränkt erlaubt und selbst Besuche von ihren Kindern sind häufig verboten oder finden hinter Trennscheiben statt. Auch Telefonkontakte, mitunter mit der Anwältin oder dem Anwalt, sind oft nicht erlaubt. Oftmals steht auch die Dauer der angeordneten Haft in keinem Verhältnis zum Einzelfall.
Auch die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) äusserte sich zu diesen Missständen. In ihrem Tätigkeitsbericht aus dem Jahr 2014 wurden die in den meisten Einrichtungen übermässig langen Einschlusszeiten als unverhältnismässig beurteilt und die zum Teil sehr restriktive Handhabung der Aussenkontakte als besonders problematisch eingestuft.
Dazu kommt, dass in verschiedenen Kantonen die Untersuchungshaft extensiv angeordnet wird; so beispielsweise in Fällen, bei denen eine mildere Ersatzmassnahme wie ein Kontaktverbot ohne weiteres ausreichen würde, um dasselbe Ziel zu erreichen. Die Ausgestaltung der Haft, insbesondere Besuchserlaubnisse, Telefonkontakte, individuelle Beschäftigungsmöglichkeiten sind auf den Einzelfall auszurichten und die Persönlichkeit so wenig wie möglich einschränkend auszugestalten.

Die DJS haben nun vor zwei Monaten einen Musterantrag zur Verbesserung der Haftbedingungen veröffentlicht, den Inhaftierte und deren AnwältInnen für Anträge oder zur Redaktion von Beschwerden frei verwenden können. Dieser enthält generelle Ausführungen und Textbausteine für die Argumentation zu grundrechtskonformen Bedingungen bezüglich der Gewährung von Telefonkontakt zur Anwältin oder zum Anwalt, Kontakt zu Angehörigen, sozialen Kontakten innerhalb der Haftanstalt und Zugang zu medizinischem Personal. Die Ausführungen stützen sich massgeblich auf die Studie von Jörg Künzli/Nula Frei/Maria Schultheiss vom Mai 2015, Untersuchungshaft: Menschenrechtliche Standards und ihre Umsetzung in der Schweiz (verfügbar unter www.skmr.ch).

Des Weiteren sind in mehreren Kantonen parlamentarische Vorstösse zur Untersuchungshaft geplant. Darin wird auf menschenrechtliche Mindeststandards abgestellt und es wird die Bedeutung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung in Erinnerung gerufen, aus dem auch hervorgeht, dass die Haftbedingungen den Lebensumständen in Freiheit so nah wie möglich kommen sollten.

Heutzutage scheint es die allgemein vertretene Ansicht zu sein, dass eine restriktive Haftausgestaltung die Regel ist, von welcher Ausnahmen gewährt werden können. Dabei muss in einer menschenrechtlichen Logik aber gerade vom Gegenteil ausgegangen werden.

Melanie Aebli, Geschäftsleiterin DJS / AG Strafrecht DJS
Text erschienen im plädoyer 6/2016