Nurettin Oral wurde 2005 in der Schweiz als politischer Flüchtling anerkannt und 2017 gestützt auf einen türkischen Haftbefehl an der serbisch-kroatischen Grenze verhaftet. Seither befindet er sich in Kroatien in Auslieferungshaft. Die Türkei hatte unter dem Vorwurf des angeblichem Separatismus und der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation über Interpol nach Oral gefahndet. Wie die Tageszeitung «Der Bund» am 11. Januar 2018 berichtete, hat das Oberste Gericht in Kroatien vor Kurzem seine Auslieferung an die Türkei genehmigt.

Die DJS sind bestürzt über dieses Urteil und erachten die Auslieferung von Nurettin Oral als rechtswidrig. Auslieferungen zwischen der Türkei und Kroatien basieren auf dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen (SR 0.353.1), dem beide Länder beigetreten sind. Grundlegende Verpflichtung des Übereinkommens ist die Auslieferung bei «gemeinen Delikten». Da sich das Übereinkommen nicht explizit zu Personen, die in einem Vertragsstaat Asyl erhalten haben, äussert, lässt sich direkt aus dem Wortlaut keine automatische Verpflichtung zur Nichtauslieferung von anerkannten Flüchtlingen ableiten. Dennoch sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, die vorliegend klar zum Ergebnis führen, dass die Auslieferung Orals an die Türkei unzulässig ist.
Erstens verbietet Art. 3 des Übereinkommens die Auslieferung, wenn die strafbare Handlung als politisches Delikt anzusehen ist. Der Haftbefehl wurde wegen Separatismus und Verstoss gegen das Antiterrorgesetz verfügt – der Inbegriff politischer Delikte. Schon deshalb ist aus Sicht der DJS das Auslieferungsersuchen abzulehnen. Zweitens ist die allgemeine Lage in der Türkei zu berücksichtigen, wo die politische Opposition u.a. mit Mitteln des Strafrechts unterdrückt wird. Diesbezüglich ist auf den Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig-Holstein vom 22.09.2016 im Verfahren 1 Ausl (A) 45/15 (41/15) zu verweisen. Hier kam das OLG im Falle einer wegen Diebstahls beantragten Auslieferung zum Schluss, dass eine solche wegen der aktuellen Umstände unzulässig ist. Dies begründete das Gericht damit, dass die Türkei die EMRK, insbesondere die Verfahrensgarantien nach Art. 6, mit dem Ausnahmezustand weitgehend ausser Kraft gesetzt hat. Zudem verstossen die Haftbedingungen gegen das in Art. 3 garantierte Folterverbot. Insgesamt wären die Rechte des Betroffenen in der Türkei derartigen Einschränkungen unterworfen, dass die Auslieferung per se unzulässig erscheint. Schliesslich ist der Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen Rechnung zu tragen, denn die Rechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention kommen auch im Auslieferungsverfahren zum Tragen – insbesondere das flüchtlingsrechtliche Non-Refoulment-Prinzip.

Wird Nurettin Oral von Kroatien an die Türkei ausgeliefert, verletzt Kroatien seine völkerrechtlichen Verpflichtungen und macht sich damit unmittelbar zum Gehilfen der repressiven Politik der Türkei. Der Versuch, andere Staaten zu Ermittlungshelfern zu machen, ist kein Einzelfall. Im Oktober 2017 wurde bekannt, dass die Türkei alleine an Deutschland 81 Auslieferungsersuchen gestellt hatte. In den uns bekannten Fällen wurde bisher eine Auslieferung an die Türkei stets abgelehnt. Dies muss vor dem Hintergrund der Flüchtlingseigenschaft des Betroffenen umso mehr gelten.
Die DJS begrüssen die Anfechtung des genannten Urteils des Obersten Gerichts vor dem kroatischen Verfassungsgericht und rufen die involvierten Behörden dazu auf, die aufgeführten internationalen Verpflichtungen einzuhalten. Wir fordern die Freilassung von Nurettin Oral sowie seine sichere Rückkehr in die Schweiz.

Diese Stellungnahme ist eine leicht gekürzte Version eines offenen Briefes der DJS an die kroatische Botschaft.

Annina Mullis und Melanie Aebli, DJS

Text erschienen im plädoyer 1/2018