Der Abstimmungssonntag am 10. Februar 2019 war kein guter Tag für die Grundrechte im Kanton Bern. Mit 76.4% Ja-Anteil wurde die Revision des kantonalen Polizeigesetzes angenommen. Die Demokratischen JuristInnen Bern beteiligten sich am Referendum und strebten im Anschluss eine Normenkontrolle vor Bundesgericht an. Diese ist derzeit hängig.

Das neue Polizeigesetz im Kanton Bern ist ein Musterbeispiel eines Gesetzes, das mit einer bürgerlichen Mehrheit im Kantonsparlament entsteht. Aus einem legitimen Projekt einer Totalrevision wurde schliesslich ein derart grundrechtsproblematisches Gesetz, dass sich selbst der verantwortliche Regierungsrat genötigt sah «sein» Gesetz zu kritisieren. Problematisch sind insbesondere vier Punkte: die Überwälzung von Einsatzkosten bei Kundgebungen, die Wegweisungsartikel, die ausgeweiteten Überwachungsmöglichkeiten und die Diskriminierung von Fahrenden.
Die Stadt Bern ist als Bundeshauptstadt regelmässig Austragungsort von Kundgebungen. Die meisten davon verlaufen friedlich, bei wenigen kommt es zu Gewaltausschreitungen. Dabei soll neu das Verursacherprinzip gelten. Bei Polizeieinsätzen an unbewilligten Demonstrationen, oder solchen, bei denen die Bewilligungsvoraussetzungen vorsätzlich oder grobfahrlässig verletzt wurden, dürfen die Gemeinden die entstandenen Kosten von bis zu 30‘000 CHF an die OrganisatorInnen überwälzen. Insbesondere der damit verbundene «chilling effect» könnte dazu führen, dass schlussendlich weniger (bewilligte) Kundgebungen stattfinden werden.
Ebenfalls ausgeweitet wurden die Wegweisungsartikel. Neu dürfen StörerInnen bis zu 48 Stunden mündlich weggewiesen werden. Als StörerIn gilt, wer «die öffentliche Sicherheit und Ordnung stört oder gefährdet». Faktisch wird dies überwiegend Jugendliche und Armutsbetroffene treffen, welche keinen Platz in der Gesellschaft haben. Eine mündliche Wegweisung bedeutet, dass die betroffene Person nur nachträglich eine schriftliche Verfügung verlangen kann. Bei Wegweisungen handelt es sich aber generell um Verfügungen, welche laut dem Verwaltungsrecht immer schriftlich und mit Rechtsmittelbelehrung zu erfolgen hätten.
Besonders problematisch ist, dass der Grosse Rat eine ähnliche Wegweisungsregelung explizit für Fahrende geschaffen hat. Mit dem Gesetz stellt das «unerlaubte Campieren auf privatem und öffentlichem Boden» einen Wegweisungsgrund dar. Im Gegensatz zur mündlichen Wegweisung dürfen Fahrende nur schriftlich und mit einer Frist von 24 Stunden weggewiesen werden. Ausserdem darf die Polizei ein Gelände nur räumen, wenn ein Transitplatz zur Verfügung steht. Das Problem liegt aber genau bei diesen Transitplätzen. Es gibt im Kanton Bern nicht genügend derartige Plätze.
Die Kantonspolizei erhält im Bereich der polizeilichen Vorermittlung und der verdeckten Fahndung weitere Kompetenzen, die sogar jene in der Strafprozessordnung übersteigen. Neu darf einen Monat lang ohne richterlichen Beschluss verdeckt ermittelt, gefahndet und oberviert werden, ohne dass ein konkreter Tatverdacht vorliegen muss. Schliesslich fehlen im Polizeigesetz genügende Kontrollinstrumente. Es wurde bewusst auf eine Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen oder auf konkrete Massnahmen gegen Racial Profiling verzichtet. Ebenso fehlt eine unabhängige Ombudsstelle.
Diese Regelungen haben uns dazu bewogen zusammen mit verschiedenen Parteien und Organisationen das neue Polizeigesetz vom Bundesgericht auf seine Verfassungsmässigkeit überprüfen zu lassen.

Von Michael Christen, Geschäftsleiter DJB

erschienen im plädoyer 3/2019