Das Coronavirus bestimmt den Alltag nun schon seit einem Jahr. Soziale Kontakte sind minimiert. Wer kann, hat sich im Home Office eingerichtet. Wer aber in einer Kollektivunterkunft wohnt, mit vielen Menschen auf engem Raum lebt und sich Schlafzimmer, Küche sowie Bad mit anderen teilt, hat nicht die Möglichkeit, sich konsequent an die Distanz-Regeln zu halten. 

Wer von Asylsozialhilfe oder sogar von 8 Franken Nothilfe am Tag lebt, hat nicht die Ressourcen, zusätzliche Hygieneartikel zu kaufen, wenn die zur Fürsorge verpflichteten Betreiber*innen der Unterkünfte nicht genügend Material zur Verfügung stellen. Zivilgesellschaftliche Organisationen, private Rechtsanwält*innen oder Medien erhalten nach wie vor keinen Zugang zu den Bundesasylzentren[1],weshalb keine unabhängigen Informationen über die Zustände in den verschiedenen Unterkünften vorliegen. Der jüngste Corona-Ausbruch in einem Rückkehrzentrum der ORS im Kanton Bern dürfte jedoch systemische Mängel aufgedeckt haben: Innert kürzester Zeit sind ein Drittel der Bewohner*innen an Covid erkrankt. Statt ein ungenutztes Nebengebäude als Quarantänezone zu eröffnen wurde das ganze Zentrum unter Quarantäne gestellt. Gründe für die rasche Ausbreitung dürften neben den ohnehin engen Wohnverhältnissen ungenügende Hygiene- und Präventionsmassnahmen, unzureichende Testmöglichkeiten und ein untaugliches Isolationskonzepts für positiv Getestete gewesen sein. [2] Hier zeigt sich einmal mehr, dass bereits prekarisierte Bevölkerungsgruppen ungleich härter von der Pandemie getroffen werden. Mit Naomi Klein gesagt: «Whatever is unequal before becomes more unequal»[3].

Die Situation war bereits vor Corona unhaltbar

Dabei sind die Lebensbedingungen in den zahlreichen Asylzentren in der Schweiz auch ohne zusätzliche Belastungen durch die Pandemie hart bis unhaltbar. So sagte etwa ein ehemaliger Mitarbeiter eines kantonalen Rückkehrzentrums – d.h. einer Unterkunft für rechtskräftig abgewiesene Asylsuchende – gegenüber der Berner Zeitung: «Es ist das Ziel des Kantons, das Leben dieser Menschen schwierig zu machen. Und die ORS tut alles, um dem Kanton zu gefallen»[4]. Besonders schockierend sind die Dokumentationen des Kollektivs Drei Rosen gegen Grenzen, die von Gewaltvorfällen im Bundesasylzentrum in Basel berichten. Ein Sprecher des SEM meinte zu einem Fall unverhältnismässiger Gewaltanwendung mit anschliessender Beförderung des betreffenden Security-Mitarbeiters, dass der Vorfall aufgearbeitet sei und: «wenn nur noch Leute befördert würden, die in ihrem Berufsleben nie einen Fehler gemacht hätten, dann wäre es wahrscheinlich relativ schwierig, Führungspositionen überhaupt noch zu besetzen»[5].

Doch es regt sich Widerstand: Bereits zu Beginn der Pandemie haben Solidarité sans frontières (SOSF), die DJS und Bewohnende von Zürcher Nothilfeunterkünften wegen ungenügender Schutzvorkehrungen Strafanzeige eingereicht. Drei Rosen gegen Grenzen hat in bisher zwei Broschüren gewalttätige Übergriffe von Sicherheitspersonal auf Asylsuchende dokumentiert, die Berner Sektion der DJS hat zusammen mit dem migrant solidarity network (MSN) und #stoppIsolation eine Petition gegen die Zustände in den Berner Rückkehrzentren eingereicht und im Nationalrat ist ein Vorstoss hängig, der eine Ombudsstelle für Asylsuchende fordert[6]. Im Kern geht es all diesen Initiativen um etwas, was selbstverständlich sein müsste: den bedingungslosen Zugang zum Recht für alle.

Weitere Informationen:

von Annina Mullis, Vorstand DJS 
erschienen im Plädoyer 02/2021

[1]      In Bern gilt das auch für die kantonalen Zentren. 

[2]      vgl. Neue Vorwürfe an Betreiberin nach massivem Corona-Ausbruch, Berner Zeitung vom 30.01.2021.

[3]      The Intercept vom 17.03.2020, www.theintercept.com.

[4]      Die ORS soll Rückkehrzentren abgeben, Berner Zeitung vom 10.02.2021.

[5]      Rundschau vom 13. Mai 2020.

[6]      Postulat Florence Brenzikofer (20.3776): Schaffung einer unabhängigen Ombudsstelle für Asylsuchende.

Zugang zum Recht