Seit Beginn der Covid-19-Pandemie werden politische Kundgebungen von Staat und Polizei stark eingeschränkt. Einige Massnahmen sind mit dem Gesundheitsschutz jedoch kaum zu begründen. Das teilweise unverhältnismässige Vorgehen kann als Fortsetzung einer Entwicklung verstanden werden, die die Versammlungsfreiheit seit längerem u.a. durch Polizeigesetze einzuhegen versucht.

Die Covid-19-Demonstrationsregeln veränderten sich im letzten Jahr fortlaufend. Bis vor kurzem waren in Bern und Zürich nur noch Veranstaltungen bis zu einer Obergrenze von 15 Personen zugelassen, dennoch stattfindende Kundgebungen wurden verhindert, Teilnehmer*innen angezeigt. Nun haben im Kanton Zürich und im Kanton Bern die djz und die djb zusammen mit anderen Organisationen Beschwerden eingereicht. Dieser Schritt hat eine Vorgeschichte:

Demonstrationen und Covid-19

Am 1. Mai 2020 werden in Bern zwei pensionierte Gewerkschafter, die mit Fahnen durch die Stadt spazieren, von der Polizei angehalten. Ihre Fahnen werden konfisziert[1]. Die Kundgebungen der Black Lives Matter-Bewegung in der Schweiz werden zwar nicht polizeilich aufgelöst; den Veranstalter*innen werden aber immer wieder Bussen angedroht, wenn sie sich nicht um eine Bewilligung bemüht hatten. Die Besetzung des Bundesplatzes im September durch Klimaaktivist*innen wird zwar nach wenigen Tagen geräumt, aber für einmal relativ sorgfältig[2]. Nur wenige Stunden vorher wird eine Demonstration der «Stop Isolation»-Bewegung unter Einsatz von Wasserwerfen, Gummischrot und Pfefferspray daran gehindert, zum Bundesplatz zu gelangen.[3] Als an dieser Kundgebung eine Frau problemlos die Polizeiabsperrungen passieren kann, fragt sie einen Polizisten, wieso sie das im Unterschied zu den nicht-weissen Demonstrant*innen dürfe. Seine Antwort lautet: «Weil Sie von hier sind»[4]. Die Demonstration zum feministischen Kampftag am 6. März 2021 in Zürich wird gewaltsam aufgelöst, viele Teilnehmer*innen angezeigt.

Versammlungs- und Meinungsfreiheit gefährdet

Natürlich sind ein wirksamer Gesundheitsschutz und Regeln wie Masken- und Abstandspflicht sinnvoll. Ein Quasi-Verbot von Demonstrationen ist aber unter den aktuellen Umständen nicht zu rechtfertigen. Kundgebungen sind gerade in schwierigen Zeiten für demokratische Gesellschaften unabdingbar. Sich zusammenfinden und ein gemeinsames Anliegen auf die Strasse zu tragen, den Raum mit der eigenen Präsenz zu einem öffentlichen, zu einem politischen zu machen und gleichzeitig die Möglichkeit des Gehörtwerdens zu schaffen ist mindestens genauso notwendig wie das Aufrechterhalten von Parlamentssessionen. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesgericht betonen einhellig, dass die Grundrechte freier Kommunikation Grundlage eines jeden demokratischen Staatswesens sind. Es bleibt zu hoffen, dass die Gerichte in Bern bzw. Lausanne und Zürich sich an die grundrechtliche Relevanz von politischen Kundgebungen erinnern und die Beschwerden gutheissen.

Manuela Hugentobler, Generalsekretärin DJS
erschienen im Plädoyer 3/2021

pdfKundgebungen-d.pdf