Stellungnahme der DJS zur Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll und Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität

Vernehmlassungsfrist: 10. Oktober 2017

Hiermit nehmen die Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS) Stellung zu den oben aufgeführten Vorlagen. Grundsätzlich schliessen wir uns der Stellungnahme von grundrechte.ch vom 10. Oktober 2017 an, möchten an dieser Stelle aber die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte noch einmal aufgreifen.

1. Einleitung
Die oben genannten Vorlagen bedeuten auf verschiedener Ebene die grundlegende Abkehr der bisherigen Politik der Schweiz:
• der Ausbau von Organisationsverboten steht mit der schweizerischen Neutralitätspolitik in Konflikt (siehe Punkt 2.);
• der Ausbau von Organisationsverboten steht im Widerspruch zur humanitären Tradition der Schweiz (siehe Punkt 2.);
• mit StGB 260ter wird der Entscheid, eine Organisation als terroristisch einzustufen und damit deren Unterstützung als strafbar zu qualifizieren, von der Legislative weg hin in das Ermessen der Strafjustiz verlagert (siehe Punkt 3.1.).

Die DJS stehen diesem politischen Richtungswandel sehr kritisch gegenüber – insbesondere da die weitreichenden Neuerungen zur Umsetzung der in Frage stehenden Übereinkommen gar nicht notwendig sind. Hierzu äussert sich der Vorentwurf und erläuternde Bericht vom Juni 2017 wie folgt: «Die Schweiz hat das Übereinkommen des Europarates am 11. September 2012 und das Zusatzprotokoll am 22. Oktober 2015 unterzeichnet. Das geltende schweizerische Recht vermag den durch die beiden Abkommen aufgestellten Verpflichtungen bezüglich Strafbarkeit, Prävention und internationaler Kooperation bereits heute weitgehend zu genügen» (S. 2).
Die Absicht des Bundesrates, straf- und verwaltungsrechtliche Bestimmungen einzuführen, die über die Verpflichtungen des Europarats und der Vereinten Nationen hinausgehen, lehnen die DJS entschieden ab.
Weiter sehen die DJS unüberwindbare Probleme in der Unschärfe der Definition der Begriffe «Terror» sowie «terroristische Organisation» an sich und der daraus folgenden mangelnden Bestimmtheit der damit im Zusammenhang stehenden Strafbestimmungen (siehe Punkt 3.2.).

2. Widerspruch zur Neutralität/ humanitären Tradition
Das Verbot einer Organisation dürfte auf dem Parkett internationaler Diplomatie immer als Einnehmen einer politischen Position verstanden werden. Gute Dienste haben in der Schweiz, die sich regelmässig in ziviler Friedensbildung und Mediation in Konfliktsituationen engagiert, eine starke Tradition. Die Neutralität und das Fehlen von politischer Positionierung im zuvor genannten Sinne haben aus Sicht der DJS die Rolle der Schweiz als Vermittlerin stets befördert. Sollte von der bewährten Praxis, weitgehend auf Organisationsverbote und pauschale Kriminalisierung zu verzichten, sondern vielmehr einzelne, kriminelle Handlungen zu verfolgen, abgewichen werden, sehen die DJS die vermittelnden Möglichkeiten der Schweiz gefährdet. Dies gilt es absolut notwendigerweise zu verhindern.
Zudem ist die Schweiz Standort wichtiger humanitärer Organisationen (z.B. IKRK), die von der Eidgenossenschaft auch finanziell unterstützt werden; auch gibt es hierzulande eine Vielzahl von NGOs. Humanitäre Organisationen und NGOs sind im Rahmen ihrer Tätigkeit im In- und/oder Ausland auch in Kontakt mit bewaffneten Gruppen und leisten z.B. in Gebieten, die von bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, gegenüber der Zivilbevölkerung materielle Hilfe sowie Unterstützung. Die hier kommentierten Vorlagen bergen jedoch die Gefahr, die wichtige Arbeit von solchen (Schweizer) Organisationen zu behindern resp. einzuschränken, da humanitäre Hilfe sowie friedensfördernde Projekte, plötzlich als ideelle oder materielle Unterstützung von Terrorismus eingestuft werden könnten.


3. «Definition» und Auslegung des Begriffs der «terroristischen Organisation»
Im internationalen Recht gibt es keine universelle Definition des Begriffes «Terrorismus», weshalb Staaten und internationale Organisationen den Begriff selbständig und nach eigenem Gutdünken definieren. In den letzten Jahren hat der Begriff jedoch eine stetige Ausdehnung erfahren und die Bezeichnung «terroristische Organisation» ist mittlerweile an sich durch mangelhafte Bestimmtheit gekennzeichnet. Umso notwendiger war es, im «Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen ‚Al-Qaïda’ und ‚Islamischer Staat’ sowie verwandter Organisationen» vom 12. Dezember 2014 in Art. 1 detailliert und nachvollziehbar zu regeln, was eine verbotene Organisation darstellt. Mit StGB 260ter Abs. 2 sollen die Beteiligung an einer «terroristischen Organisationen» (lit. a) und damit die Organisation an sich sowie deren Unterstützung (lit. b) neu ohne – durch die Legislative bestimmte – Auflistung der konkreten Organisationen unter Strafe gestellt werden. An Stelle der Benennung einzelner Organisationen soll in StGB 260ter Abs. 2 lit. a folgende Definition einer «terroristischen Organisation» eingeführt werden: eine Organisation, die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen, mit denen die Bevölkerung eingeschüchtert oder ein Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden soll. Dies erachten die DJS aus verschiedenen Gründen als äusserst problematisch.

3.1. Verletzung der Gewaltenteilung und damit zusammenhängende Problemstellungen
Faktisch obliegt es nach der vorgesehenen Gesetzesänderung der Strafjustiz, über die Qualifikation einer «terroristischen Organisation» zu entscheiden – die Definitionshoheit soll der Legislative folglich entzogen und dem richterlichen Ermessen unterstellt werden (vgl. Vorentwurf und erläuternder Bericht, S. 43 ff.). Dies verletzt jedoch die in der Verfassung verankerte Gewaltenteilung.
Weil der Gesetzesentwurf keine klare Definition verbotener Organisationen vorsieht, ist zudem ein Kompetenzgerangel zwischen Nachrichtendienst und (kantonalen) Strafverfolgungsbehörden vorprogrammiert, da die neue Strafnorm den kantonalen Justizbehörden im Vergleich zu NDG 72 eine viel breitere Pönalisierung von Organisationen erlaubt. Da die Strafverfolgung grundsätzlich Sache der Kantone ist und das Bundesgericht nur zurückhaltend in das richterliche Ermessen der Vorinstanzen eingreifen darf, besteht die Gefahr, dass die kantonalen Gerichtspraxen stark von einander abweichen können. Schon allein aus diesem Grund ist eine abschliessende Aufzählung aller verbotenen Organisationen im Gesetzestext – im Einklang mit BV 123 I – auf Bundesebene zwingend.

3.2. Verletzung des Bestimmtheitsgebots
Das Bestimmtheitsgebot bzw. das Legalitätsprinzip, wie es StGB 1 der gesamten schweizerischen Strafrechtsordnung zu Grunde legt, verlangt eine ausreichende Bestimmtheit von Strafnormen. Dieses Grundprinzip der Strafverfolgung wird auch durch EMRK 7 geschützt, welches bei der Umsetzung von untergeordneten Beschlüssen des Europarats eingehalten werden muss.
Vorliegend erlaubt es aber die unklare Definition des Begriffs im Gesetzesentwurf den Gerichtsbehörden nach Gutdünken eine mehr oder weniger beliebige Organisation als «terroristisch» resp. eine mehr oder weniger beliebige Handlung als «Unterstützung» einer solchen Organisation zu erklären. Für die rechtsunterworfenen Individuen ist somit nicht genügend vorhersehbar, welche Handlungen als strafbar qualifiziert werden könnten und welche nicht. Die schwammige Definition der Strafbarkeit führt damit zu Rechtsunsicherheit und öffnet der Willkür – resp. der Gesinnungsbestrafung – Tür und Tor.
Um der individuellen Vorhersehbarkeit mit Sicherheit rechtsgenügend Rechnung zu tragen, bedarf es wiederum einer abschliessenden Aufzählung aller verbotenen Organisationen im Gesetzestext. Dies umso mehr, als zwingend auch alle Vermögenswerte eingezogen (StGB 28a Abs. 2 lit. b) und ausländische Personen konsequent des Landes verwiesen werden (StGB 66a Abs. 1 lit. l und p) sollen. Solch einschneidende Verschärfungen verlangen erst recht eine genügend klare Umschreibung aller Strafbarkeitsvoraussetzungen.

4. Bemerkungen zu den einzelnen Artikeln
Betreffend die Bemerkungen zu den einzelnen Artikeln verweisen die DJS vollständig auf die Stellungnahme von grundrechte.ch vom 10. Oktober 2017. An dieser Stelle möchten wir uns jedoch ausdrücklich der Empfehlung anschliessen, NDG 74 zu streichen, StGB 260ter in seiner heutigen Form zu belassen und für terroristische Organisation eine separate Regelung mit einer abschliessenden, national verbindlichen Liste der verbotenen Gruppierungen zu schaffen. Weiter ist der neue StGB 260sexies mit reduzierter Strafandrohung zu belassen und auf Rechtshilfegesetz 80bis zu verzichten, weil NDG 61 vollauf zur Weitergabe von Daten an ausländische Behörden genügt.

5. Schlussfolgerung
Die Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll und Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität würde nur marginale Änderungen des Schweizerischen Rechts erfordern und kann weitgehend ohne die vorgeschlagenen zusätzlichen Gesetzesänderungen vollzogen werden. Demgegenüber will der Bundesrat aber schwammige Definitionen für «terroristische Organisationen» einführen, was zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit und willkürlichen Entscheiden führen würde. Die DJS lehnen deshalb einen unnötigen Umbau des Strafgesetzes ab.
Abschliessend erlauben wir uns den Hinweis, dass der Schutz freiheitlicher Werte nicht mit Mitteln erreicht werden kann, welche eben diese Grundsätze einer demokratischen und rechtsstaatlichen Grundordnung – wie z.B. die Gewaltenteilung, das Bestimmtheitsgebot oder das Willkürverbot – unterlaufen. Der Fokus ist nicht auf eine Verschärfung des Strafrechts zu legen, sondern vielmehr auf politische Partizipation aller hier lebenden MigrantInnen sowie auf Integrationsmassnahmen im Bildungs- und Sozialbereich.