In der Sommersession 2021 hat der Nationalrat die Motion seiner staatspolitischen Kommission (SPK-N), die «Landesverweisungen per Strafbefehl bei leichten, aber eindeutigen Fällen» ermöglichen will, angenommen. Die Anordnung eines Landesverweises soll in Zukunft bereits möglich sein, wenn die Voraussetzungen zum Erlass eines Strafbefehls erfüllt sind. Der Landesverweis sei als Grund für eine Notwendige Verteidigung aus Art. 130 StPO zu streichen und die Katalogstraftaten des Art. 66a StGB anzupassen und allenfalls zu präzisieren. 

Diese Motion ist hochproblematisch. Strafbefehle können für Bussen, Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen und Freiheitsstrafen von höchstens 6 Monaten ausgesprochen werden. Das Strafbefehlsverfahren ist für klare Fälle, in denen der Sachverhalt auch ohne Einvernahme geklärt werden kann und dort, wo es sich um blosse Bagatelldelikte handelt, geeignet. Damit das Strafbefehlsverfahren mit den Verfahrensgrundrechten kompatibel bleibt, muss garantiert werden, dass die beschuldigte Person Strafbefehl und Rechtsmittelbelehrung versteht und weiss, dass sie ihre Verfahrensrechte wahrnehmen kann, wenn sie innerhalb der 10-tägigen Frist Einsprache erhebt.

Gravierende Folgen bei einer Landesverweisung
Personen, die aufgrund einer Verurteilung wegen einer Straftat des Landes verwiesen werden, sind häufig keiner Amtssprache mächtig. Ihnen wird mangels Einvernahme vor Ausstellung des Strafbefehls häufig ein Strafbefehl in der Verfahrenssprache ausgestellt – obwohl sie einen Anspruch auf Übersetzung hätten. Auch handelt es sich vielfach um Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz. In solchen Fällen kann ein Strafbefehl meistens nicht zugestellt oder persönlich übergeben werden und kann dann, auch ohne Veröffentlichung, als zugestellt gelten (vgl. Art. 88 Abs. 4 StPO). Das kann dazu führen, dass die 10-tägige Einsprachefrist verpasst wird. Bei einer durch Strafbefehl angeordneten Landesverweisung hat dies gravierende Folgen. Nicht nur wird die beschuldigte Person, ohne dass sie sich dazu geäussert hat, massiv in ihren Grundrechten tangiert, auch wird ihr die Überprüfung der Landesverweisung durch ein Gericht verwehrt und sie kann – schon bevor ihr der Strafbefehl überhaupt ausgehändigt wurde – ausgeschafft werden.

Die obligatorische Landesverweisung in Art. 66a StGB als Ausfluss der Ausschaffungsinitiative sieht die Möglichkeit, Personen mit einem Strafbefehl des Landes zu verweisen, aus guten Gründen nicht vor. Bis anhin muss ein Gericht – und damit eine andere Behörde als die Strafverfolgungsbehörde – die Landesverweisung überprüfen und anordnen. Die Strafverfolgungsbehörden können lediglich von einer Landesverweisung absehen und/oder einen Härtefall prüfen.

Aus rechtsstaatlicher Perspektive ist die Motion der SPK-N abzulehnen. Die Kombination einer Aushebelung der gerichtlichen Überprüfung und der Abschaffung der notwendigen Verteidigung gefährdet elementare strafrechtliche Verfahrensrechte und damit auch das in der EMRK verbriefte Recht auf ein faires Verfahren. Bereits heute findet das Strafbefehlsverfahren in zu vielen Fällen Anwendung, für die es nicht geeignet ist. Eine zusätzliche Ausweitung ist weder nötig noch wünschenswert.

Die staatspolitische Kommission des Ständerates wird das Geschäft am 16. November beraten. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich an die Wichtigkeit rechtsstaatlicher Grundsätze erinnert und die Motion ihrem Rat zur Ablehnung empfiehlt. 

Selma Kuratle, Vorstand djb
erschienen im Plädoyer 05/2021

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