Bern, 1. Februar 2019

Die Demokratischen Jurist*innen Bern (DJB) und das Migrant Solidarity Network (MSN) kritisieren die seit dem 1. Januar 2019 geltende Änderung der Asylsozialhilfeweisung, mit welcher der Kanton Bern eine weitere Verschärfung im Asylbereich eingeführt hat. Die revidierte Weisung sieht eine Anwesenheitspflicht in Berner Kollektivunterkünften für Personen des Asylbereichs vor. Diese erweist sich aus zwei Gründen als unzulässig: Erstens kann sich die Anwesenheitspflicht auf keine genügende gesetzliche Grundlage stützen und verletzt deshalb das Legalitätsprinzip. Zweitens führt sie zu empfindlichen Grundrechtseingriffen, die selbst bei Vorliegen einer genügenden gesetzlichen Grundlage unzulässig wären. Aus den genannten Gründen haben 59 Betroffene in Zusammenarbeit mit den DJB und dem MSN gestern beim Bundesgericht Beschwerde erhoben. Sie ersuchen das Bundesgericht, die Anwesenheitspflicht aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit aufzuheben.

Die neu eingeführte Regelung – die sämtliche Personen des Asylbereichs[1] trifft – sieht vor, sowohl Nothilfe als auch Asylsozialhilfe nur noch an Personen auszuzahlen, die sich während mindestens fünf Tagen pro Woche in der ihnen zugewiesenen Kollektivunterkunft aufhalten und dort übernachten. Personen, die mehr als zwei Nächte pro Woche auswärts übernachten, werden nach einmaliger Ermahnung und Verwarnung von der Unterkunft abgemeldet. Mit der Abmeldung entfallen alle Sozial- und Nothilfeleistungen und damit der Zugang zu medizinischer Versorgung. Unter Umständen kann die Abmeldung gar zur Abschreibung eines hängigen Asylgesuches oder zum Erlöschen einer vorläufigen Aufnahme führen.

Das Amt für Migration und Personenstand (MIP) ging dabei fälschlicherweise davon aus, dass die Einführung der Anwesenheitspflicht über die blosse Anpassung der kantonalen Weisung ergehen könne und masste sich damit an, selbst als Gesetzgeberin tätig zu werden. Da solche Regelungen die Rechtslage der Betroffenen erheblich verändern, müssen sie zwingend durch den Grossen Rat erlassen werden. Aber selbst wenn eine genügende gesetzliche Grundlage vorliegen würde, erwiese sich die Anwesenheitspflicht als unzulässig: Sie verletzt nicht nur das Recht auf Nothilfe, sondern auch das Recht auf Bewegungsfreiheit sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Es liegen keine hinreichenden Gründe vor, die es erlaubten, derart in das Sozialleben und den Lebensrhythmus der betroffenen Personen einzugreifen. Der Kanton argumentiert widersprüchlich, da die Anwesenheitspflicht nicht geeignet ist, die Bedürftigkeit der Betroffenen zu überprüfen oder zu reduzieren.

Für die Anwältin Annina Mullis, welche die Betroffenen vertritt, ist klar: «Die neue Anwesenheitspflicht stellt einen unverhältnismässigen Eingriff in die Rechte von Personen des Asylbereichs dar, noch dazu ohne gesetzliche Grundlage. Das ist aus grundrechtlicher Sicht unhaltbar.» Diese absurde Situation ist Ausdruck eines politischen Klimas zunehmender Repression gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft. Das Bundesgericht hat nun die Gelegenheit, diese unwürdige Herabsetzung der betroffenen Menschen zu beenden.

 

[1] Asylsuchende, weggewiesene Asylsuchende, Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsstatus, vorläufig aufgenommene Personen sowie vorläufig aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge, solange sie einer Kollektivunterkunft zugewiesen sind