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Malta: Demokratische Jurist*innen fordern ein Ende des Verfahrens gegen die ElHiblu3

Hier finden Sie den Beobachtungsbericht als pdf

Here you can find the observation report in English

Eine Delegation von Prozessbeobachterinnen der Demokratischen Jurist*innen Schweiz (DJS) und der European Association of Lawyers for Democracy & World Human Rights (ELDH) nahm am 22. Januar 2025 an der Urteilsverkündung des maltesischen Berufungsgerichts betreffend die Frage der Zuständigkeit der maltesischen Gerichte im Verfahren gegen die sogenannten «El Hiblu 3» teil. Die drei Geflüchteten, von denen zwei vor Gericht erschienen, sehen sich fast sechs Jahre nach ihrer Überfahrt über das Mittelmeer weiterhin mit schweren strafrechtlichen Vorwürfen konfrontiert, wobei bis zum heutigen Tag vor Gericht lediglich formelle Fragen beurteilt wurden. Die Prozessbeobachterinnen sind zutiefst besorgt über den Verlauf des Prozesses in Malta.

Die Terrorismusvorwürfe gemäss heute noch nicht materiell behandelter Anklageschrift stehen in einem erheblichen Missverhältnis zu den Schilderungen der Angeklagten, aber auch zum Sachverhalt, wie er von der Anklagebehörde dargestellt wird. Es dürfte sich daher eher um politisch motivierte als sachlich begründete Vorwürfe handeln – es handelt sich um einen Prozess ganz im Sinne der europäischen Abschottungspolitik, der abschreckende Wirkung erzeugen soll. Er reiht sich ein in eine Vielzahl von Verfahren, die auf die Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht abzielen.

Sachverhalt

Am 28. März 2019 geriet ein Schlauchboot mit Geflüchteten auf dem Mittelmeer in Seenot. Die Besatzung des Frachters «El Hiblu 1» konnte 100 Schutzsuchende – auf Anweisung von einem Flugzeug der europäischen Militäroperation Eunavfor Med vor dem Ertrinken retten. Die Crew versuchte anschliessend, die Geretteten nach Libyen zurückzubringen. Kurz vor der Ankunft in Libyen protestierten die Flüchtenden gegen den rechtswidrigen Pushback. Der Kapitän bat drei englischsprechende Jugendliche die verzweifelten Passagiere zu beruhigen und für ihn zu dolmetschen. Schliesslich steuerte der Kapitän das Schiff nach Malta. Gegenüber den maltesischen Behörden gab der Kapitän an, er habe die Kontrolle über das Schiff verloren. Als sich das Schiff in maltesischen Gewässern befand, wurde es von Sicherheitskräften gestürmt und die drei Jugendlichen wurden verhaftet. Die Vorwürfe, die im Strafverfahren gegen sie erhoben werden, sind so schwerwiegend, dass ihnen eine lebenslange Haftstrafe droht.

Prozessstand und Argumentation der Parteien

Am heutigen Verhandlungstag entschied das Berufungsgericht über die Zuständigkeit der maltesischen Gerichte zur Behandlung der Anklage. Die Verteidigung, die gegen den erstinstanzlichen Entscheid betreffend die Zuständigkeit vom 30. Mai 2024 Berufung eingelegt hatte, argumentierte, dass gemäss Artikel 5 des maltesischen Strafgesetzbuches die maltesischen Gerichte territorial nicht zuständig seien, da die vorgeworfenen Handlungen ausserhalb der maltesischen Hoheitsgewässer stattgefunden hatten.

Demgegenüber stellte sich die Anklagebehörde auf den Standpunkt, dass die angeklagten Taten als fortlaufende Straftaten zu betrachten seien. Diese hätten sich in internationalen Gewässern zugetragen und bis in maltesische Hoheitsgewässer erstreckt, weshalb sie die Zuständigkeit Maltas begründeten.

Das Berufungsgericht bestätigte an der heutigen Urteilsverkündung den Entscheid des erstinstanzlichen Gerichts, ohne aber dieses Ergebnis mündlich zu begründen.

Beobachtungen der Demokratischen Jurist*innen

Die Prozessbeobachtungsdelegation stellt fest, dass es der Vorsitzende des Dreiergremiums unterliess, den mündlich eröffneten Entscheid zu begründen. Die Urteilsverkündung dauerte ca. eine Minute. Der Vorsitzende verwies auf die schriftliche Begründung, die am Nachmittag veröffentlicht werden soll. Die Urteilseröffnung erfolgte in englischer Sprache, der Vorsitzende sprach aber so leise, dass die Delegation ihn nicht verstand.

Die Namen der Angeklagten werden in der der öffentlich zugänglichen Urteilsbegründung genannt und damit der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Dies ist aus unserer Sicht äusserst bedenklich, da die Angeklagten als Folge davon längerfristig sowohl in ihrem privaten als auch beruflichen Leben mit dem entsprechenden Strafverfahren in Verbindung gebracht werden dürften. Dies dürfte zu einer Vorverurteilung führen und verletzt damit nicht nur die Unschuldsvermutung, sondern auch das Recht auf Rehabilitation nach einer allfälligen Verurteilung und Absitzen der Strafe.

Forderungen

Die DJS und die ELDH appellieren an die maltesischen Justizbehörden, die politisch motivierte Strafverfolgung zu beenden und das Strafverfahren einzustellen. Weiter fordern die DJS und die ELDH ein Ende der Kriminalisierung von Geflüchteten.

 

Sonja Comte, MLaw, Rechtsanwältin, Mitglied DJS Bern
Lea Schlunegger, MLaw, Rechtsanwältin, Generalsekretärin DJS, Member of Executive Committee ELDH