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Klimaprotest auf dem Bundesplatz: Der Gemeinderat hat die Wahl!

Der Berner Gemeinderat ist nicht verpflichtet, den Bundesplatz räumen zu lassen. Er kann die Nutzung des Bundesplatzes für politische Kundgebungen auch während der Session zulassen. Bund, d.h. auch National- und Ständerat, haben aufgrund des Föderalismus und der Gemeindeautonomie keinerlei Kompetenz in dieser Frage. Dem nationalrätlichen Ordnungsantrag kommt daher nur appellatorische Wirkung zu.

In den Medien herrscht Unklarheit über das bernische Kundgebungsreglement, welches die Nutzung des Bundeshausplatzes regelt. Die demokratischen Juristinnen und Juristen Bern (djb) möchten einen Beitrag zu dieser Frage leisten, so dass juristisch fundiert medial berichtet und politisch gestritten werden kann.

Artikel 6 Absatz 1 des Berner Kundgebungsreglements verbietet zwar politische Kundgebungen auf dem Bundesplatz während den Sessionen, Artikel 6 Absatz 2 sieht jedoch explizit vor, dass der Berner Gemeinderat Ausnahmen bewilligen kann. Selbst ohne diese Ausnahmeregelung in Absatz 2 stünde es dem Gemeinderat als alleinig verantwortliches Exekutivorgan zu, die Platzkundgebung zu dulden, um die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit zu achten1. Diese für demokratische Gesellschaften unerlässlichen Rechte können nur im Rahmen der Voraussetzungen nach Art. 36 BV eingeschränkt werden, müssen also im öffentlichen Interesse liegen, verhältnismässig sein und sich auf eine gesetzliche
Grundlage stützen. Art. 6 Abs. 1 des Kundgebungsreglements könnte zwar als gesetzliche Grundlage für eine Räumung
dienen, begründet aber keinen Zwang zur Räumung. Dem Gemeinderat der Stadt Bern steht es gemäss Artikel 6 Absatz 2 des Kundgebungsreglements frei, die Platzkundgebung zu dulden, wenn er zum Schluss kommt, dass eine Räumung unverhältnismässig und deswegen zu unterlassen sei. Bei der Verhältnismässigkeitsprüfung dürfen und sollen politische Wertungsentscheidungen einfliessen, so z.B. der Umstand, dass die Stadt Bern im Herbst 2019 den Klimanotstand ausgerufen hat. Es gilt zwischen der Wahrung der Grundrechte der Aktivist*innen und dem öffentlichen Interesse an einem ungestörten Ratsbetrieb und der Durchsetzung von Verwaltungsrecht abzuwägen.

Der Gemeinderat kann sich also dafür entscheiden, die Platzkundgebung zu dulden, eine nachträgliche Ausnahmebewilligung zu erlassen oder den Platz räumen zu lassen. Es besteht allerdings keine Pflicht zur Räumung, eine solche erscheint zum aktuellen Zeitpunkt überdies als unverhältnismässig.


1 Art. 16 Abs. 1 und Art. 22 BV; Art. 17 Abs. 1 und Art. 19 bernische KV; Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 EMRK