Der Justizvollzug ist eine staatliche Aufgabe
Das neue Justizvollzugsgesetz des Kantons Bern, das in der September-Session vom Grossen Rat beraten wird, räumt der Polizei und Militärdirektion des Kantons Bern umfassende Befugnisse zur Delegation von staatlichen Kernaufgaben an Private ein. Humanrights.ch und die Demokratischen Jurist*innen Bern sind der Ansicht, dass damit das staatliche Gewaltmonopol verletzt wird. Sie haben sich deshalb heute mit folgendem Brief an die Grossrätinnen und Grossräte gewendet.
An die Mitglieder des Grossen Rats des Kantons Bern
Bern, 28. August 2017
Neues Gesetz über den Justizvollzug – Verfassungswidrige Delegierung von staatlichen Hoheitsaufgaben
Sehr geehrte Damen und Herren Grossrätinnen und Grossräte
In der Septembersession beraten Sie das neue Justizvollzugsgesetz (JVG). Art. 14 und Art. 15 JVG räumen der Polizei und Militärdirektion des Kantons Bern (POM) umfassende Befugnisse zur Delegation von staatlichen Kernaufgaben an Private ein. Humanrights.ch und die Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern (djb) sind der Ansicht, dass diese neuen Bestimmungen das staatliche Gewaltmonopol verletzen und verfassungswidrig sind.
Art. 14 JVG: Delegation von Aufgaben an private Einrichtungen
Art. 14 Abs. 1 JVG:
Gemäss geltendem Bundesrecht können die Kantone den Vollzug von Halbgefangenschaft, Arbeitsexternat und Massnahmen nach Art. 59-61 und 63 StGB an private Einrichtungen delegieren (Art. 379 StGB). Der Vollzug der übrigen Freiheitsstrafen ist nur versuchsweise und auf Basis eines Bundesratsentscheides möglich (Art. 387 Abs. 4 StGB). Art. 14 Abs. 1 JVG sieht jedoch eine Delegation an Private für alle Freiheitsstrafen vor. Mitgemeint könnten hier auch der Vollzug von Freiheitsstrafen im Normalvollzug (Art. 77 StGB) und Einzelhaft (Art. 78 StGB) sowie die Verwahrung (Art. 64 StGB) sein, also der klassische Kernbereich der Freiheitsentziehung. Mit der aktuellen Formulierung behält sich der Kanton Bern also die Möglichkeit offen, in einem späteren Zeitpunkt staatliche Kernaufgaben an Private zu übertragen.
Art. 14 Abs. 1 JVG ist anzupassen und wie folgt zu formulieren: «Die POM kann im Rahmen des Bundesrechts privaten Einrichtungen mit einer Betriebsbewilligung gemäss SHG die Bewilligung erteilen, Strafen in Form der Halbgefangenschaft und des Arbeitsexternates sowie freiheitsentziehende strafrechtliche Massnahmen zu vollziehen.»
Art. 14 Abs. 4 bzw. 5 JVG:
Gemäss Art. 14 Abs. 4 bzw. 5 JVG, stehen den privaten Einrichtungen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben umfassende Kompetenzen zu, die bis zum zweiwöchigen Einschluss von Personen in Sicherheitszellen (Art. 35 Abs. 2 lit. a JVG) oder dem Einsatz von physischem Zwang unter Verwendung von Hilfsmitteln und Waffen (Art. 36 und 37 JVG) gehen. Die hoheitliche Zwangsanwendung im Freiheitsentzug gehört zum Kern des staatlichen Gewaltmonopols und darf demnach nicht delegiert werden. Der Bundesrat hat in seinem Bericht von 2005 zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen festgehalten, dass das Gewaltmonopol die Anwendung physischen Zwangs zur ausschliesslichen Angelegenheit des Staates macht. Dort, wo mit erheblichen Grundrechtseingriffen zu rechnen ist, sei eine Privatisierung ausgeschlossen.1 Dies trifft ganz besonders auf den Bereich Freiheitsentzug zu, wo sich inhaftierte Personen in einem speziellen Abhängigkeitsverhältnis zum Staat befinden und dadurch besonders verletzlich sind. Die betroffenen Personen bewegen sich in einem komplexen Recht-Pflichten-Netz und sind tagtäglich mit einschneidenden Grundrechteingriffen konfrontiert, die sich nicht bloss im Freiheitsentzug erschöpfen. Eine Ausführung durch Private liegt hier weder im überwiegenden öffentlichen Interesse, noch ist sie verhältnismässig.
Dass der Regierungsrat in seinem Vortrag zwar anerkennt, dass das neue Gesetz rechtsstaatlich höchst problematisch ist
aber das «praktische Bedürfnis nach Zwangsausübung durch Private» ganz explizit über diese rechtstaatlichen Bedenken stellt, ist höchst fragwürdig.2
Der Grosse Rat ist aufgefordert, dieser Argumentation nicht zu folgen und Art. 14 Abs. 4 bzw. 5 JVG in seiner jetzigen Form ersatzlos zu streichen.
Art. 15 JVG: Delegation von Aufgaben an private Personen
Art. 15 JVG sieht die Übertragung von staatlichen Aufgaben an private Personen in den Bereichen Gesundheit, Betreuung, Sicherheit und Transport vor. Hierzu gehört nach Abs. 3 auch die Sicherung eines Transports mittels physischen Zwangs.
Die Durchführung von Gefangenentransporten durch private Sicherheitsunternehmen ist äusserst fragwürdig, da auch beieinem scheinbar «unproblematischen» Gefangenen nicht auszuschliessen ist, dass die Situation ausser Kontrolle gerät
und zusätzliche Zwangsmittel angewendet werden müssen. Die Delegation der Entscheidungsmacht über die Anwendung von Zwangsmassnahmen stellt eine Verletzung des Gewaltmonopols dar.
Art. 15 Abs. 1 JVG ist auf die Beiziehung von Personen in den Bereichen Gesundheit und Betreuung einzuschränken. Die Bereiche „Sicherheit“ und „Transport“ sind zu streichen. Art. 15 Abs. 3 JVG soll ersatzlos gestrichen werden.
Für Ihre Kenntnisnahme bedanken wir uns bestens und verleiben mit freundlichen Grüssen
David Mühlemann, humanrights.ch
Sandra Egli, djb
Fussnoten:
1 Vgl. Bericht des Bundesrats zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen in Beantwortung des Postulats Stähelin 04.3267 vom 1. Juni 2004, S. 650.
2 Vgl. Vortrag des Regierungsrates zu Absatz 4.
Den Brief finden Sie hier als pdf.