Stellungnahme SAFG sowie EG AuG und AsylG
Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern
Rechtsamt
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3011 Bern
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Bern, 27. September 2018
Stellungnahme der Demokratischen Jurist*innen Bern (djb) zum Gesetz über die Sozialhilfe im Asyl- und Flüchtlingsbereich (SAFG) sowie zum Einführungsgesetz zum Ausländer- und zum Asylgesetz (EG AuG und AsylG)
Sehr geehrte Herren Regierungsräte
Sehr geehrte Damen und Herren
Die Demokratischen Jurist*innen Bern (djb) bedanken sich für die Möglichkeit, zum Gesetz über die Sozialhilfe im Asyl- und Flüchtlingsbereich (SAFG) und zur Totalrevision des Einführungsgesetzes zum Ausländer- und zum Asylgesetz (EG AuG und AsylG) Stellung nehmen zu können. Wir machen davon gerne Gebrauch.
Allgemeine Bemerkungen
Auffällig ist, dass die Vorlage spürbar von der Sensibilisierung auf Kosteneffizienz geprägt ist; übrige Aspekte drohen vernachlässigt zu werden. In diesem Sinne erlauben wir uns an dieser Stelle auch die grundsätzliche Anmerkung, dass – auch wenn die Vorlage in Bezug auf das Drei-Stufen-Modell am bisherigen Wortlaut von Artikel 4a ff. EG AuG und AsylG
festhält – wir es als problematisch, die Zuwanderung von Personen im Asylbereich als Notlage und Bedrohung zu skizzieren. Die djb möchten daran erinnern, dass es bei der Gewährung von Asyl und internationalem Schutz nicht um ein Katastrophenszenario geht, sondern um humanitäre Hilfe an schutzsuchende und schutzwürdige Einzelpersonen. Der
vorgeschlagene Wortlaut von Artikel 27, 28 und 29 SAFG und Artikel 18, 19 und 20 EG AuG und AsylG wird dem Menschenrecht auf internationalen Schutz nicht gerecht.
Zu den wichtigsten Punkten
Neue Zuständigkeiten
Die djb können die Aufgabenentflechtung zwischen GEF und POM und die damit verbundenen neuen Zuständigkeiten grundsätzlich nachvollziehen. Wir erachten es jedoch als problematisch, dass ausschliesslich die verletzlichsten Personen im Asyl- und Flüchtlingsbereich, nämlich (Langzeit-)Nothilfebezüger_innen, der Polizei- und Militärdirektion unterstellt sind und damit auch institutionell von den Leistungen der Gesundheits- und Fürsorgedirektion abgeschnitten sind. Auch möchten wir darauf hinweisen, dass im Falle von Personen, die sich zur freiwilligen Ausreise bereit erklären, ein Wechsel in die Nothilfestrukturen bei Rechtskraft des Asylentscheides keinen Sinn macht. Vielmehr sollten diese Personen unabhängig von der Zuständigkeit der POM für die Zeit bis zur Ausreise in den Strukturen der GEF bleiben können.
Weiter stehen die djb der vollständigen operativen Auslagerung und Delegation sämtlicher Integrationsaufgaben gekoppelt mit einem entsprechenden Verfügungsrecht an externe öffentliche oder private Leistungserbringer äusserst kritisch gegenüber. Es ist nicht ersichtlich, wie der Kanton hier seine Leistungs- und Schutzpflichten erfüllen und betroffene Personen ihre Rechte ausüben können sollen.
Kosteneffizienz als primärer Grundsatz
Die Vorlage ist geprägt von der Sensibilisierung auf Kosteneffizienz und vom überwiegenden Ziel die Nettokosten für den Asyl- und Flüchtlingsbereich und die Folgekosten für die Sozialhilfe zu senken. Die Fokussierung auf die Kosteneffizienz droht die übrigen Anliegen der Vorlage auszublenden. Eine kurzfristige Orientierung an den Kosten ist im Asyl- und Flüchtlingsbereich der falsche Ansatz. Wissenschaftliche Studien haben längst aufgezeigt, dass sich Ausgaben zur Unterstützung der Integration von Personen im Asyl- und Flüchtlingsbereich mittel- und längerfristig auszahlen. Problematisch erscheint hier namentlich die Absicht die Unterstützung für den Spracherwerb im Allgemeinen auf das Niveau A1 zu beschränken (vgl. Vortrag, S. 4), was dem Anliegen einer raschen, erfolgreichen und nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt diametral entgegenläuft.
Verkürzung des Integrationsgedankens auf Teilnahme am Arbeitsmarkt
Die djb unterstützen das Anliegen einer raschen Integration. Die einseitige Betonung des «Fordern» gegenüber dem «Fördern» in der Vorlage widerspricht hingegen klar dem Integrationsgedanken. Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, an dem sich die Bevölkerung und die Institutionen des Aufnahmelandes genauso beteiligen müssen, wie Migrant_innen. Voraussetzung ist gegenseitige Annäherung und gleichwertige Unterstützung
beider Seiten. Das Konzept des «Förderns und Forderns» kann damit nicht auf ein einseitiges Fordern und auf eine «aktive Grundhaltung» der Zugezogenen reduziert werden. Ein rein einseitig verstandenes Konzept von Eingliederung und die Betonung von Pflichten der Migrant_innen bedeutet nicht Integration, sondern Assimilation und kann nicht zu einem nachhaltigen und gleichberechtigten Zusammenleben von bereits ansässigen und zugezogenen Personen führen. Der Integrationsgedanke der Vorlage erscheint daher unausgewogen und nicht nachhaltig. Darüber hinaus erscheint das Anliegen der raschen Integration angesichts der weitgreifenden Sparmassnahmen in der Vorlage als illusorisch.
Weiter erscheint die Reduktion des Integrationsgedankens auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu kurz gegriffen. Integration in eine Gesellschaft umfasst mehr als nur die Fähigkeit, sich selbst wirtschaftlich erhalten zu können. Die Integrationsangebote des Kantons sollten dem gerecht werden und sich nicht allein auf den Erwerb von Sprachkenntnissen beschränken. Vielmehr sollte beispielsweise auch kultureller Austausch gefördert werden und das Knüpfen von sozialen Kontakten in den Gemeinden und Quartieren durch die Unterbringung in privaten Unterkünften gefördert werden. In Bezug auf die Sprachkenntnisse ist darüber hinaus fragwürdig, dass die Unterstützung bei der Sprachförderung grundsätzlich auf das Sprachniveau A1 beschränkt werden soll. Dies ist nicht ausreichend, um den betroffenen Personen tatsächlich Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen und ist deshalb nicht nachhaltig.
Die Einführung individueller Integrationspläne mit verbindlichen Integrationsbemühungen und Integrationszielen spiegelt das einseitige Integrationsverständnis der Vorlage. Die Verhängung von Sanktionen bei vermeintlicher Nicht-Integration aufgrund des Nichterreichens der Ziele und die fehlende Berücksichtigung individueller Umstände und Bedürfnisse erscheinen äusserst problematisch. Ein solches Zuckerbrot-und-Peitsche-System wird nicht zu einer besseren Integration der betroffenen Migrant_innen führen, sondern im Gegenteil zu Widerständen führen.
Verknüpfung von Leistungen und Mitwirkung
Die vorgeschlagene Verknüpfung der Höhe der Sozialhilfe und der Form der Unterbringung mit dem Erreichen gewisser Integrationsziele ist völlig inakzeptabel und kontraproduktiv. Es ist integrationspolitisch kontraproduktiv, Menschen mit Sanktionen zu belegen bzw. nicht in Wohnungen zu platzieren, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist ein bestimmtes Sprachniveau erreichen und eine Erwerbstätigkeit bzw. Ausbildung aufgenommen haben. Dies führt zu einer rechtsstaatlich fragwürdigen Kategorisierung und Ungleichbehandlung der betroffenen Personen. Gewisse Personen werden privilegiert und mit Vorteilen belohnt, während andere Personen mit der gleichen Rechtsstellung mit Sanktionen abgestraft werden. Auch dies erscheint uns inakzeptabel.
Bei der Bemessung der Unterstützungsleistungen und der Unterbringung ist in jedem Fall den persönlichen, individuellen Umständen einer Person Rechnung zu tragen. Den Bedürfnissen von verletzlichen Personen (insbesondere ältere Personen, traumatisierte oder kranke Personen, Personen mit Behinderungen, LGBTI-Personen, Kindern und je nach den
konkreten Umständen auch Frauen) ist dabei besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Ausnahmemöglichkeit von Artikel 14 Absatz 2 SAFG erscheint im aktuellen Wortlaut nicht ausreichend, um diese Einzelfallbeurteilung zu gewährleisten.
Erst recht inakzeptabel ist die Verknüpfung von Leistungen und der Erfüllung von Mitwirkungspflichten im Bereich der Nothilfe. Die Gewährung der für ein menschenwürdiges Dasein notwendigen Mittel ist ein in Artikel 12 der Bundesverfassung verankertes Grundrecht. Spielraum für eine Anpassung der Leistungen je nach Kooperationsbereitschaft der betroffenen Person besteht im Rahmen dieses verfassungsrechtlichen
Existenzminimums nicht.
Fehlende Berücksichtigung des Kindeswohls und des Rechts auf Familienleben
Schliesslich fehlt in der gesamten Vorlage eine angemessene Berücksichtigung des Kindeswohls. Der Kanton hat das Kindeswohl und das Kindesinteresse in allen Belangen primär zu berücksichtigen (Art. 3 KRK). Die Vorlage trägt dieser Verpflichtung nicht genügend Rechnung. Die besondere Schutzwürdigkeit von Kindern wird lediglich in Bezug auf unbegleitete Minderjährige erwähnt. Dem Grundsatz des Kindeswohls ist jedoch auch in Bezug auf begleitete Kinder und ihre Familien zu berücksichtigen. Ganz besonders gilt das bei der Unterbringung von Familien in Kollektivunterkünften, bei der Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe und der Nothilfe sowie bei der Festlegung von Integrationsplänen für
erwachsene Familienangehörige. In Bezug auf die Unterbringung vermissen wir in der Vorlage auch eine angemessene Berücksichtigung des Rechts auf Familienlebens, sowohl für Familien mit wie auch Familien ohne Kinder.
Im Weiteren verweisen wir auf die Anmerkungen in der beiliegenden Antwort-Tabelle.
Wir bedanken uns für die Berücksichtigung unserer Anliegen und stehen für allfällige Rückfragen gerne zur Verfügung.
Freundliche Grüsse
Michael Christen
Geschäftsleiter djb
Die Stellungnahme finden Sie hier als pdf.