Stellungnahme zur Änderung der Kantonsverfassung und des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft
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Bern, 21. Juni 2019
Stellungnahme der Demokratischen Jurist*innen Bern (djb) zur Änderung der Kantonsverfassung und des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft
Sehr geehrte Frau Regierungsrätin
Sehr geehrte Damen und Herren
Die Demokratischen Jurist*innen Bern (djb) bedanken sich für die Möglichkeit, zur Änderung der Kantonsverfassung (KV), des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft (GSOG) sowie weiterer Gesetze Stellung nehmen zu können. Wir machen davon gerne Gebrauch.
Ausgangslage
Das Revisionsvorhaben erstreckt sich einerseits auf die Verankerung der Justizleitung in der Verfassung und andererseits auf die Präzisierung der Funktionsweise der Justizleitung und des Zusammenwirkens mit Regierung und Parlament. Die Justizleitung ist als Organ als solches grundsätzlich zu hinterfragen, weshalb in der vorliegenden Stellungnahme auf
Ausführungen zu einzelnen Änderungsvorschlägen – sowie zu den nicht mit der Justizleitung zusammenhängenden Aspekten der Vorlage – verzichtet und die Justizleitung als solches beurteilt wird.
Die Justizleitung vereinigt die obersten kantonalen Gerichte sowie die Generalstaatsanwaltschaft. Vertreten sind also die Verwaltungs-, Zivil- und Strafgerichtsbarkeit einerseits sowie die Strafverfolgung andererseits. Die Staatsanwaltschaft
nimmt im strafrechtlichen Gefüge verschiedene Funktionen wahr: Sie führt das Ermittlungsverfahren, richtet im Strafbefehlsverfahren, verhandelt im abgekürzten Verfahren, tritt vor Gerichten als anklagende Behörde mit Parteirechten auf und vollzieht jugendstrafrechtliche Sanktionen. Diese Fülle von Aufgaben, die auf die eidgenössische
Strafprozessordnung zurückgeht, wirft bereits rechtsstaatliche Fragen auf. Diese Bedenken werden im bernischen Kontext durch die Institution der Justizleitung verschärft. Das vorliegende Gesetzgebungsverfahren sollte genutzt werden, um eine Entflechtung der Aufgaben von Exekutive und Judikative vorzunehmen, statt diese zu konsolidieren und
verfassungsrechtlich zu kodifizieren. Nachfolgend wird zur Begründung dieses Standpunktes dargelegt, inwiefern das Gefäss der Justizleitung aus rechtstaatlicher Sicht fragwürdig und deshalb abzulehnen ist.
Gewaltenteilung
Die Gewaltenteilung stellt eine zentrale Prämisse des Rechtsstaates dar und dient der Strukturierung staatlicher Herrschaftsausübung.1 Sie verlangt eine Trennung der legislativen, exekutiven und judikativen Staatsfunktionen. Dabei ist eine organisatorische und personelle Trennung sicherzustellen. Im Zusammenhang mit der Justizleitung steht die organisatorische Gewaltenteilung im Vordergrund. Diese zwingt zu einer Zuordnung der Staatsfunktionen zu
verschiedenen Staatsorganen, die voneinander unabhängig sind.2
- Unabhängigkeit der Justiz als Teil der Gewaltenteilung
Besondere Bedeutung kommt dabei der Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt zu, wie sie in mehreren Verfassungsbestimmungen verankert ist. Nach Art. 97 Abs. 1 KV ist „[d]ie Unabhängigkeit der Gerichte […] gewährleistet“ – daran will auch die vorgeschlagene Änderung zu Recht nichts ändern. Die gleiche Vorgabe ergibt sich – auch für kantonale Gerichte3 – aus Art. 191c BV, der vorgibt, dass „[d]ie richterlichen Behörden […] in ihrer rechtsprechenden Tätigkeit unabhängig und nur dem Recht verpflichtet [sind]“. Eine unabhängige Rechtsprechung verlangen aber auch ausdrücklich Art. 30 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Als Gerichte – und damit Teil der Judikative – sind nämlich jene Behörden einzustufen, „die nach Gesetz und Recht in einem justizförmigen, fairen Verfahren begründete und bindende Entscheidungen über Streitfragen trifft. Sie braucht nicht in die ordentliche Gerichtsstruktur eines Staates eingegliedert zu sein, muss jedoch organisatorisch und personell, nach der Art ihrer Ernennung, der Amtsdauer, dem Schutz vor äusseren Beeinflussungen und nach ihrem äusseren Erscheinungsbild sowohl gegenüber anderen Behörden als auch gegenüber den Parteien unabhängig und unparteiisch sein.“4 - Selbstverwaltung der Justiz als Teil der Unabhängigkeit
Um die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten, sind u.a. organisatorische Vorkehrungen zu treffen, damit justizfremde Einflüsse auf die Rechtsprechung vermieden werden. In diesem Sinne sind Gerichte als selbständige Einheiten zu verfassen und ausreichend auszustatten.5 Für das Bundesgericht schreibt deshalb Art. 188 Abs. 3 BV die Selbstverwaltung vor. Auch die übrigen Gerichte sind mit der erforderlichen Selbstständigkeit auszustatten. 6 Die Selbstverwaltung umfasst eine gewisse Autonomie bezüglich Organisation, Finanzen und Personelles. Eine Behördenstruktur tritt dann in Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Selbstverwaltung der Justiz und entsprechend mit der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Gewaltenteilung, wenn Behörden, die nicht der Judikative zuzuordnen sind, in die Verwaltung der Justiz involviert sind.
Rolle der Staatsanwaltschaft
- Staatsanwaltschaft als Exekutivbehörde
Die Staatsanwaltschaft nimmt, wie oben ausgeführt, einen Strauss an Aufgaben war. So führt sie nicht nur die Ermittlungen in enger Zusammenarbeit mit der Polizei, sondern kann auch Strafbefehle erlassen, die eine Art Urteilsofferte darstellen. Ihr wird daher mitunter ein hybrider Status innerhalb des Gewaltengefüges zugeschrieben.7 Trotz dieser Stellung sind Staatsanwaltschaften der Kantone und des Bundes nicht zu den richterlichen Behörden zu
zählen, sondern funktionell als Verwaltungsbehörden zu qualifizieren. 8 Der gelegentliche Erlass von Strafbefehlen, führte das Bundesgericht aus, „ne métamorphose pas pour autant le Procureur général en juge“.9 Es ist denn auch weit verbreitet, dass Verwaltungsbehörden wie etwa kantonale Direktionen (Art. 62 VRPG) oder der Regierungsrat (Art. 64 VRPG) Rechtsprechungsfunktionen wahrnehmen und ihnen diesbezüglich auch eine gewisse Unabhängigkeit eingeräumt werden muss (vgl. Art. 29 Abs. 1 BV). 10 Daraus kann aber offensichtlich nicht geschlossen werden, es handle sich um Organe der Judikative. Gleiches gilt für die Staatsanwaltschaft, die ebenfalls über eine gewisse Unabhängigkeit verfügt (Art. 4 StPO). Die Staatsanwaltschaft ist daher klar als Verwaltungsbehörde zu qualifizieren.11 Vor diesem Hintergrund vermag die vorgeschlagene Einordnung der Staatsanwaltschaft im Justizkapitel der KV nicht zu überzeugen. Vorzuziehen wäre es, die Staatsanwaltschaft bei den Bestimmungen zur Kantonsverwaltung, wo sie nach dem Gesagten anzusiedeln ist, einzufügen. Diese Einordnung wurde beispielsweise auch in der waadtländischen Verfassung (Art. 125a) vorgenommen und stünde einer Verankerung der gebotenen Unabhängigkeit nicht im Wege. - Staatsanwaltschaft als Verfahrenspartei
In strafrechtlichen Verfahren und namentlich vor dem Obergericht tritt die Staatsanwaltschaft als Prozesspartei mit entsprechender Rechtsstellung auf (Art. 104 Abs. 1 lit. c StPO; Art. 90 Abs. 4 GSOG). Die Bedenken hinsichtlich der Mitwirkung einer Verwaltungsbehörde innerhalb der Justizleitung werden dadurch gesteigert, dass mit der Generalanwaltschaft nicht irgendein, sondern genau jenes Exekutivorgan betroffen ist, das zugleich als Partei vor dem Obergericht auftritt.
Justizleitung als bernische Sonderlösung
Die Justizleitung wurde als „Führungsorgan“ konzipiert, in dem „die Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaft ihr Gesamtbudget gemeinsam erstellen und vor dem Grossen Rat vertreten.“ 12 Sie nimmt „Leitungs- und Koordinationsaufgaben“, „Koordinations- und Steuerungsaufgaben“, „Führungs- und Koordinationsaufgaben“ bzw. „Regelungs- und Weisungskompetenzen, Finanzbefugnisse, Leitungs- und Entscheidbefugnisse sowie Verwaltungsaufgaben“ für die Justiz und die Staatsanwaltschaft wahr. 13 Ihr kommen „wichtige Regelungs- sowie Finanz-, Leitungs- und Entscheidbefugnisse“ zu. Die Justizleitung ist unter anderem dafür zuständig, Budgetkürzungen durchzusetzen. 15 Im Rahmen der Oberaufsicht über die Gerichtsbarkeit kommt dem Grossen Rat „die Aufgabe
zu, die Angemessenheit der Entscheidfindung der Justizleitung zu beobachten und korrigierend einzuschreiten, wenn ein Mitglied dauernd und zu Unrecht überstimmt wird.“16 Die Justizleitung ist also ein Entscheidgremium, dessen Beschlüsse die Tätigkeiten der Justizorgane und der Staatsanwaltschaft mitbeeinflussen, und kann nicht als blosse Koordinationsinstanz bezeichnet werden, wie dies in der Evaluation verschiedentlich gemacht wurde.17 Mit der Allokation von Ressourcen werden Entscheide gefällt, die über die blosse Koordination hinausgehen. Dem Evaluationsbericht ist denn auch zu entnehmen, dass die Generalstaatsanwaltschaft einerseits und die obersten Gerichte andererseits die
Rolle der Justizleitung anders interpretieren. Während erstere die Entscheidkompetenzen betont und eine Wahrnehmung derselben wünscht, scheinen Verwaltungs- und Obergericht in der Justizleitung ein Koordinationsorgan zu sehen.18 Die bernische Justizleitung ist von Behörden anderer Kantone zu unterscheiden, die auf den ersten Blick vergleichbar erscheinen. So ist etwa der freiburgische Justizrat – in dem nebst der Staatsanwaltschaft u.a. auch der Grosse Rat, der Staatsrats sowie der kantonale Anwaltsverband vertreten sind – für die Administrativ- und Disziplinaraufsicht zuständig.19 Im Kanton Bern beschränkt sich die Aufsicht über die Justiz und die Staatsanwaltschaft auf die Oberaufsicht durch den Grossen Rat, während die Exekutive im Interesse der Gewaltenteilung nicht mehr in die Aufsicht involviert ist.20 Eine Justizleitung kennt ferner der Kanton Aargau (vgl. §§ 85, 96 KV/AG). Dort nimmt sie ähnliche Aufgaben wahr wie die bernische Justizleitung, setzt sich aber im Unterschied zur hiesigen Lösung ausschliesslich
aus Angehörigen der Gerichte zusammen (§ 30 GOG/AG). Gleiches gilt für den baselstädtischen Gerichtsrat, der ebenfalls mit der Selbstverwaltung der Justiz betraut ist (vgl. §§7 ff. GOG/BS).
Schliesslich weicht die Justizleitung des Kantons Bern deutlich von der Selbstverwaltungsstruktur auf Bundesebene ab. Die Gerichte des Bundes und die Bundesanwaltschaft verfügen über kein gemeinsames Führungsorgan, das Gerichte und Bundesanwaltschaft gegenüber der Bundesversammlung vertreten würde (vgl. Art. 142 und 162 ParlG). Die Selbstverwaltung obliegt dann den eidgenössischen Gerichten je einzeln (vgl. Art. 17 und 25 BGG, Art. 18 und 27 VGG, Art. 54 und 60 StBOG), wobei dem Bundesgericht die Aufsichtsfunktion zukommt (Art. 1 Abs. 1 BGG).
Justizleitung als rechtsstaatliches Problemfeld
Mit Art. 18 GSOG werden wichtige Aspekte der Selbstverwaltung der Justiz bei der Justizleitung angesiedelt. Es handelt sich dabei um Kompetenzen, die im Interesse der Unabhängigkeit der Justiz und damit der Gewaltenteilung frei von justizfremden Einflüssen gehalten werden müssen. Die Einbindung einer Verwaltungsbehörde in der Justizleitung ist
vor diesem Hintergrund zu überdenken. Mit dem Einsitz der hierarchischen Spitze der Strafverfolgungsbehörden in der Justizleitung wirkt sodann nicht nur irgendeine Verwaltungsbehörde an der Selbstverwaltung der Gerichte mit, sondern jene, deren Handeln von den Gerichten überprüft werden muss und die selbst als Partei vor eben diesen Gerichten auftritt. Es ist naheliegend, dass hierdurch der Anschein einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit entstehen kann.21
Die Vermischung von Judikative und Exekutive kommt bereits in einem Bericht des Regierungsrats aus dem Jahr 2007 zum Ausdruck. Selbstverwaltung und Budgetantragsrecht werden als zentrale Elemente der institutionellen Unabhängigkeit der Gerichte hervorgehoben, während zugleich die Staatsanwaltschaft kurzerhand als Teil der Gerichtsbarkeit eingestuft wird.22 Es wird ausgeführt, das Modell der Justizleitung entspreche demjenigen der eidgenössischen Gerichte und stärke die institutionelle Unabhängigkeit der Gerichte.23 Indem die „Produktgruppe Staatsanwaltschaft“ der Gerichtsbarkeit zugeordnet wurde, wird aber vom Modell auf Bundesebene gerade abgewichen. Die Gerichte des Bundes und die Bundesanwaltschaft verfügen wie gesagt über kein gemeinsames Führungsorgan, das Gerichte und Bundesanwaltschaft gegenüber der Bundesversammlung vertreten würde. Auch im aktuellen Vortrag lässt der Regierungsrat dieses wesentliche Element unerwähnt und hält stattdessen fest, die bundesrechtliche Regelung entspreche weitgehend der Rechtslage, wie sie der Kanton Bern kenne bzw. neu einführen wolle.24 Der Regierungsrat hielt 2007 weiter fest, dass er sich für die gemäss FLG vorgesehene Festlegung der Produkte und Produktgruppen der Gerichtsbarkeit aus Gründen der Gewaltenteilung für nicht zuständig erachte. „Wesentlich für diese Schlussfolgerung ist der Umstand“, so der Regierungsrat, „dass das Produkt sich über den Leistungsumfang sowie die Kosten für die Erstellung ausspricht. Damit werden konkrete Vorgaben an das Preis-/Leistungsverhältnis der Produkte (u.a. Urteile) der Gerichtsbarkeit gemacht. Das bedeutet eine direkte Einflussnahme auf die Arbeitsweise der einzelnen Gerichtsbehörden.“25 Solche Einflussnahmen seien „von der dritten Gewalt selber bzw. von deren Oberaufsicht, dem
Parlament“ unter Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte vorzunehmen. Es liegt auf der Hand, dass die Bedenken, die der Regierungsrat an dieser Stelle bezüglich die eigene Einbindung ausdrückte, auch für den Einsitz der Generalstaatsanwaltschaft zu beachten sind. Das gewählte Modell missachtet, dass mit der Staatsanwaltschaft eine
Exekutivbehörde in das Führungsorgan der Justiz eingebunden wird, und dadurch eine „direkte Einflussnahme auf die Arbeitsweise der einzelnen Gerichtsbehörden“ nehmen kann. Dieses Modell verletzt daher den Grundsatz der Gewaltenteilung und ist entsprechend zu überdenken.
Erschwerend kommt hinzu, dass mit der Generalstaatsanwältin bzw. dem Generalstaatsanwalt eine Person unbefristet Einsitz in die Justizleitung nimmt, während die Präsidien von Ober- und Verwaltungsgericht rotieren, was zu regelmässigen Know-How-Verlusten seitens der Judikative führt. 26 Zudem ist die Generalstaatsanwältin bzw. der
Generalstaatsanwalt die Spitze einer hierarchisch organisierten Behörde und hat als solche mehr Kompetenzen und kann schneller agieren als die Präsidien der obersten Gerichte.27 Diese Umstände sind geeignet, die Stellung der Staatsanwaltschaft innerhalb der Justizleitung zulasten der eigentlichen Judikative zu stärken.28 Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade das Verständnis der Generalstaatsanwaltschaft der Justizleitung eine aktivere
Rolle zuweist. 29 Problematisch scheint in diesem Zusammenhang ferner, dass die Justizleitung wiederum ein Präsidium hat, das rotationsweise durch die beteiligten Behörden/Gerichte bestellt wird, sodass es vorkommt, dass die Generalstaatsanwältin oder der Generalstaatsanwalt die Justizleitung präsidiert.
Dass Strafjustiz und Staatsanwaltschaft ein gutes Einvernehmen haben, das „historisch gewachsen“ sei, mag für Staatsanwaltschaft und Gerichte begrüssenswert sein. 30 Gutes Einvernehmen droht aber von aussen als „Filz“ wahrgenommen zu werden. Diesem Eindruck ist im Interesse der verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit der Rechtsprechung entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund scheint denn auch das Anliegen, der „Justiz“ einen „geeinten Aussenauftritt“ zu ermöglichen, 31 unberechtigt: Behörden, die unterschiedlichen Staatsgewalten angehören bedürfen keines geeinten Auftrittes. Vielmehr stellt dieser ein Problem dar, weil er den Anschein der Befangenheit weckt und die institutionelle Unabhängigkeit in Frage stellt. Dass „die Richterinnen und Richter sowie die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bereits in einem gemeinsamen Verband zusammengeführt [sind] und […] über gemeinsame Richtlinien für die Strafzumessung [verfügen]“ 32 , sollte nicht als Anlass genommen werden, weitere Vermischungen der Judikative und der Exekutive vorzunehmen. Gleiches gilt für ein weiteres Argument, das im Vortrag erwähnt wird: Der Umstand, dass „Strafgerichte und die Staatsanwaltschaft über gemeinsame Themen und Anliegen im Kerngeschäft, im Vollzug oder in der Justizverwaltung miteinander verbunden sind“33 spricht nicht dafür, den Behörden eine gemeinsame Struktur
zu geben, sondern gerade dagegen, weil es sich um Organe zweier Staatsgewalten handelt.34
Fraglich scheint sodann, ob die Definition von Entscheidungsmechanismen für Konfliktfälle namentlich im Zusammenhang mit allfälligen Budgetkürzungen geeignet ist, den hier geäusserten Bedenken gerecht zu werden. Im Evaluationsbericht werden beispielsweise lineare Kürzungen oder Kürzungen basierend auf Belastungszahlen vorgeschlagen.35 Es ist
zu bezweifeln, dass solche pauschalen Regelungen den Umständen und den Gründen der Arbeitsbelastung gerecht werden. Im Evaluationsbericht wird erwähnt, als Alternative zur derzeitigen Struktur „wären die Zusammenlegung der oberen Gerichte in einem einzigen Kantonsgericht und die Rückführung der Staatsanwaltschaft in die Verwaltung denkbar, was jedoch aufgrund der ausgebauten Rechtsprechungskompetenzen der Staatsanwaltschaft wiederum als
problematisch erscheint“. 36 Dass eine Reintegration der Staatsanwaltschaft in die Zentralverwaltung fragwürdig ist, braucht nicht hinterfragt zu werden, doch vermag dieser Umstand die rechtsstaatlichen Bedenken gegenüber der Justizleitung nicht aus dem Weg zu räumen. Aus der Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden, die in Art. 4 StPO
vorgesehen ist und nun neu auch in Art. 97 Abs. 1 KV verankert werden soll, kann nicht geschlossen werden, dass diese und die ebenfalls unabhängige Judikative unter ein gemeinsames Führungs- und Koordinationsgremium gefasst werden sollte. Vielmehr sind andere Alternativen zu prüfen, die sowohl die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft von der Zentralverwaltung als auch die Unabhängigkeit der Judikativen von den anderen Staatsgewalten, wozu auch die Staatsanwaltschaft zu zählen ist, gewährleisten.
Auch in der Evaluation wird festgehalten, dass die als „Schönwetterbehörde“ bezeichnete Justizleitung ihr Funktionieren im Ernstfall noch nicht unter Beweis stellen konnte.37 Daher und mit Blick auf die allgemeinen rechtsstaatlichen Bedenken regen wir an, von der Verankerung der Justizleitung in der Verfassung abzusehen und mittelfristig eine andere
Struktur zu finden.
Fazit
Das vorliegende Gesetzgebungsverfahren sollte genutzt werden, um eine Entflechtung der Aufgaben von Exekutive und Judikative vorzunehmen, statt die bestehende Vermischung zu konsolidieren und verfassungsrechtlich zu kodifizieren. Daher sind die unterbreiteten Vorschläge zur Revision der Kantonsverfassung zu überdenken, wobei die Modelle anderer
Kantone als Anregung dienen können. Die Änderungsvorschläge auf gesetzlicher Stufe sind insofern ebenfalls abzulehnen, als sie die Justizleitung als Organ konsolidieren, das staatsgewaltenübergreifend operiert und daher im Konflikt zur Gewaltenteilung steht.
Wir bedanken uns für die Berücksichtigung unserer Anliegen und stehen für allfällige Rückfragen gerne zur Verfügung.
Freundliche Grüsse
Michael Christen
Geschäftsleiter djb
Florian Weber
Vorstandsmitglied djb
Fussnoten:
1 Vgl. etwa Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bern 2016, § 27 Rz. 2.
2 Tschannen, Fn. 1, § 27 Rz. 12.
3 Reich, BSK-BV, Art. 191c N 11.
4 BGE 139 III 98 E. 4.2.
5 Tschannen, Fn. 1, § 40 Rz. 19.
6 Biaggini, BV-Kommentar, Zürich 2017, Art. 188 N 16.
7 Reich, BSK-BV, Art. 191c N 13, mit Verweis auf Kiener/Cupa, in: Cavallo et al. (Hrsg.), Liber amicorum für Andreas Donatsch, Zürich 2012.
8 BGE 129 I 103 E. 3; BGer-Urteil 1P.80/2002 vom 27.05.2002 E. 4.4; Reich, BSK-BV, Art. 191c N 13.
9 BGE 124 I 76 E. 2.
10 Vgl. Tschannen, Fn. 1, § 40 Rz. 14.
11 Vgl. mit weiteren Hinweisen Hurni, Justizleitung und unabhängige Justiz im Kanton Bern, in: «Justice - Justiz - Giustizia» 2019/1, Rz. 8 f.
12 Regierungsrat, Vortrag an den Grossen Rat zum Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung, zur Strafprozessordnung und zur Jugendstrafprozessordnung (EG ZSJ) sowie zum Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft (GSOG), 2008, S. 15.
13 Regierungsrat, Vortrag EG ZSJ/GSOG (Fn. 12), S. 1 und 33; Regierungsrat, Vortrag Justizverfassung, S. 4, 9 und 21.
14 Regierungsrat, Justizverfassung und Massnahmen aus der Evaluation Justizreform II, Vortrag zur Änderung der Verfassung des Kantons Bern sowie zur Änderung des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden und der
Staatsanwaltschaft (GSOG), 2019, S. 21.
15 Regierungsrat, Vortrag EG ZSJ/GSOG (Fn. 12), S. 15 und 33.
16 Regierungsrat, Vortrag EG ZSJ/GSOG (Fn. 12), S. 15.
17 Vgl. Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation der Justizreform II im Kanton Bern, Im Auftrag der Justizdelegation des Regierungsrats des Kantons Bern, Schlussbericht vom 27. Mai 2016, S. 77 und 85.
18 Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation (Fn. 17), S. 78 f.
19 Art. 125 ff. KV/FR; vgl. auch Art. 65bis KV/VS.
20 Vgl. Regierungsrat, Vortrag Justizverfassung (Fn. 14), S. 14.
21 Hurni, Justizleitung (Fn. 11), Rz. 15.
22 Regieurungsrat, Reform der dezentralen Verwaltung und Justizreform, Einführung einer Steuerung der Gerichtsbehörden mit NEF-Elementen, Bericht vom 15. August 2007 an den Grossen Rat, S. 9.
23 Regierungsrat, NEF-Bericht (Fn. 22), S. 10
24 Regierungsrat, Vortrag Justizverfassung (Fn. 14), S. 19.
25 Regierungsrat, NEF-Bericht (Fn. 22), S. 7.
26 Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation (Fn. 17), S. 112.
27 Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation (Fn. 17), S. 84.
28 Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation (Fn. 17), S. 112.
29 Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation (Fn. 17), S. 78 f.
30 Vgl. Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation (Fn. 17), S. 80.
31 Regierungsrat, Vortrag Justizverfassung (Fn. 14), S. 11; Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation, S. 79.
32 Vgl. Regierungsrat, Vortrag Justizverfassung (Fn. 14), S. 11.
33 Regierungsrat, Vortrag Justizverfassung (Fn. 14), S. 11.
34 So auch Hurni, Justizleitung (Fn. 11), Rz. 21.
35 Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation (Fn. 17), S. 85.
36 Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation (Fn. 17), S. 85.
37 Ecoplan/Wenger Plattner, Evaluation (Fn. 17), S. 112.
Die vollständige Vernehmlassungsantwort finden Sie hier als pdf.