Bundesgesetz über das Verbot der Hamas sowie verwandter Organisationen
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1. Einleitung
Staaten haben die Verpflichtung, die Bevölkerung zu schützen und Massnahmen zu ergreifen, um terroristische Aktivitäten wirksam zu verhindern und zu bestrafen. Dem steht jedoch auch die Verpflichtung gegenüber, im Kampf gegen den Terrorismus die Menschenrechte zu wahren. Sicherheit und Menschenrechte verstärken sich gegenseitig, deshalb müssen Staaten bei allen Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung ihren Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte nachkommen müssen. Dabei müssen gewisse Bedingungen erfüllt sein. Insbesondere müssen die Gesetzesbestimmungen hinreichend präzise formuliert werden, damit die Folgen, die eine bestimmte Handlung nach sich ziehen kann, in einem angemessenen Masse vorhersehbar sind. Zudem sollten bei der Verabschiedung neuer Massnahmen im Bereich der Sicherheit die bestehenden Menschenrechtsstandards beachtet und sichergestellt werden, dass sie besonders mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung und friedliche Versammlung und Vereinigung vereinbar sind und keinen «chilling effect» zur Folge haben.
Dazu kommt, dass auch die Terrorismusbekämpfung rechtsstaatliche Grundsätze wahren muss. Dies tut das vorgeschlagene Verbot jedoch nicht, weswegen darauf zu verzichten ist. Falls das Verbot dennoch eingeführt würde, wäre es zumindest enger zu fassen. Denn das vorgeschlagene Gesetz hätte gravierende Auswirkungen auf die Meinungsäusserungsfreiheit in der Schweiz, indem es Menschen zum Schweigen bringen würde, die auf das zunehmende Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen aufmerksam machen möchten und dem Bundesrat zu umfassende Kompetenzen zusprechen.
2. Art. 1 Abs. 1 lit. a: Das Hamasverbot
2.1 Aufweichung der Regelungen zum Organisationsverbot
Art. 260ter StGB kriminalisiert die Beteiligung an oder Unterstützung von Organisationen, die den Zweck verfolgen, Gewaltverbrechen zur Einschüchterung der Bevölkerung zu begehen oder einen Staat zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. Die Schwelle zum Erreichen dieser Legaldefinition ist richtigerweise hoch, da die Strafdrohung massiv ist. So muss der terroristische Zweck den Haupt- oder zumindest den zentralen Zweck einer Organisation darstellen, weswegen das Bundesgericht für die Anwendbarkeit von Art. 260ter StGB verlangt, dass sich die terroristischen Aktivitäten nicht auf den Rand beschränken oder eine sekundäre Aktivität darstellen.[1] Die Hamas bilden im Gazastreifen unter anderem die staatliche Verwaltung, organisieren andere Projekte für die Zivilbevölkerung und verfolgen ein Staatenbildungsprojekt.[2] Aus diesen Gründen müssten die terroristischen Aktivitäten der Hamas gegen die Zivilgesellschaft separat betrachtet werden. Daher kann die Hamas nicht unter Art. 260ter StGB subsumiert werden. Dazu kommt, dass die Gewalttaten der Hamas gegen die Zivilbevölkerung bereits unter der heutigen Gesetzeslage strafrechtlich verfolgt werden können. Deswegen ist der Erlass des vorgeschlagenen Gesetzes auch unnötig.
2.2 Verstoss gegen fundamentale rechtsstaatliche Prinzipien
Der Bundesrat möchte mit dem vorgeschlagenen Gesetz nun eine unwiderlegbare gesetzliche Vermutung aufstellen, dass es sich bei der Hamas um eine verbotene Organisation nach Art. 260ter StGB handelt. Dies erlaubt es nicht, dieses Verbot zu überprüfen, wie dies etwa bei Organisationsverboten gemäss Art. 74 NDG möglich ist und es die Europäische Union auch spezifisch bezüglich der Hamas zuliess.[3] Das vorgeschlagene Gesetz stellt somit ein Einzelfallgesetz dar. Die Praxis zum Erlass von Einzelfallgesetzen sollte eigentlich mit der Revision der Terrorismusgesetzgebung 2018 aufgegeben werden.[4] Denn der Erlass solcher Gesetze ist grundsätzlich verpönt, da diese zu rechtsungleicher Behandlung führen und damit gegen Art. 8 BV verstossen (weswegen sie verfassungswidrig sind).[5] Auch verstösst das vorgeschlagene Gesetz gegen das Prinzip der Gewaltenteilung.[6] Denn grundsätzlich ist es Aufgabe der Gerichte, festzustellen, ob Tatbestandsmerkmale im Einzelfall erfüllt sind. Dies kann nicht einfach durch Erlass eines Gesetzes «nachgewiesen» werden.[7]
Dasselbe gilt im Übrigen auch bezüglich des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale von Art. 23e ff. BWIS, Art. 67 Abs. 4 und 68 AIG sowie den Voraussetzungen für den Verdacht auf die Finanzierung des Terrorismus durch eine Finanztransaktion, deren Nachweis der Bundesrat durch den Erlass des vorliegenden Gesetzes erleichtern möchte.[8] Denn auch das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale dieser Gesetzesbestimmungen kann nicht einfach legiferiert werden, sondern müsste nach dem Prinzip der Gewaltenteilung durch ein Gericht in einem ordnungsgemässen Verfahren festgestellt werden.[9]
Ein rechtsstaatlich zulässiges Vorgehen würde daher erfordern, ein individuelles Verbot gestützt auf in einem Gesetz dargelegte generell-abstrakte Kriterien mittels einer Verfügung zu erlassen, welche anschliessend durch die Gerichte überprüft werden kann (oder die Subsumtion von vornherein durch ein Gericht vornehmen zu lassen). Dieses Vorgehen wurde korrekterweise durch den Gesetzgeber bei Art. 260ter StGB und beim Organisationsverbot gemäss Art. 74 NDG gewählt.[10]
Unter diesen Voraussetzungen erscheint auch die Bemerkung des Bundesrats unerklärlich, dass er die Kriterien gemäss Art. 74 NDG nicht lockern möchte.[11] Zwar mag dies streng genommen der Fall sein. Doch wenn vorliegend ein Organisationsverbot einfach so erlassen wird, ohne dass die Kriterien von Art. 74 NDG oder Art. 260ter StGB erfüllt sind, kommt dies einem Tabubruch gleich, welcher auch in Zukunft willkürliche Verbote jeglicher Organisationen ermöglicht, welche ebenfalls nicht als hauptsächlichen Zweck Gewalttaten verüben oder durch die UNO verboten oder sanktioniert wurden. Da vorliegend keine nachvollziehbaren Kriterien für ein Verbot dargelegt wurden, ist zu befürchten, dass dies auch in Zukunft nicht der Fall sein wird.
2.3 Schwächung der Schweizer Vermittlungsfunktion und Erschwerung eines Friedens
Ein Verbot der Hamas ist zudem ebenfalls abzulehnen, da es die selbstgesteckten Ziele der Schweiz vereitelt und eine friedliche Lösung des Israel-Palästina Konflikts erschwert.
Die Schweiz hat als neutrales Land eine lange Tradition darin, zwischen Konfliktparteien zu vermitteln und so einen wichtigen Beitrag zur weltweiten Friedensförderung zu leisten. Als neustes Beispiel ist die Organisation einer Friedenskonferenz bezüglich der Lösung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine zu nennen, welche die Schweiz organisiert und für welche sie internationale Anerkennung erhält.
Bei Erlass des vorliegenden Gesetzes wäre die Organisation eines solchen Kongresses zur Lösung des Israel-Palästina Konflikts jedoch nicht möglich. Denn die Schweiz würde nicht mehr als neutrale Akteurin angesehen und könnte keine vermittelnde Rolle einnehmen.[12] Somit würde die Schweiz auch ihre selbstgesetzten Ziele torpedieren. So wurde in der MENA Strategie 2021-2024 und dem Schweizerischen Kooperationsprogramm für den Nahen Osten 2021-2024 festgehalten, dass die Schweiz ihre Guten Dienste für den israelisch-palästinensischen Dialog einsetzen und den Friedensprozess in der Region aktiv mitgestalten will.[13] Dies würde jedoch durch ein Verbot der Hamas verunmöglicht.
Aufgrund der obigen Ausführungen ist der Gesetzesentwurf prinzipiell abzulehnen. Sollte ein Hamasverbot dennoch verabschiedet werden, sind folgende Punkte zu berücksichtigen:
3. Art. 1 Abs. 1 lit. b: Zu erwartende Kriminalisierung der Verteidigung der palästinensischen Sache und «chilling effect» für das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Art. 1 Folgende Organisationen und Gruppierungen sind verboten:
b. Tarn- und Nachfolgeorganisationen der Hamas sowie Organisationen und Gruppierungen, die im Auftrag oder im Namen der Hamas handeln
Der vorliegende Gesetzesentwurf verwendet verschiedene unbestimmte Rechtsbegriffe und Definitionen, die den Behörden einen grossen Ermessensspielraum einräumen. Sowohl die Begriffe «Tarnorganisation» und «Nachfolgeorganisation» als auch die Formulierung «Organisationen und Gruppierungen, die im Auftrag oder im Namen der Hamas handeln» sind nicht klar definiert.
Das Bestimmtheitsgebot ("nulla poena sine lege certa") ist Teil des Legalitätsprinzips und verlangt eine hinreichend genaue Umschreibung der Straftatbestände. Das Gesetz muss so präzise formuliert sein, dass der Bürger sein Verhalten danach richten und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit erkennen kann.[14]
Art. 1 Abs. 1 lit. b wird in dieser Form zwangsläufig Menschen betreffen, die ihre Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausüben und zu einer Kriminalisierung der Beteiligung an Protesten gegen den Krieg in Palästina und der Unterstützung von Personen führen, die sich in der Schweiz für die Rechte der palästinensischen Bevölkerung und gegen die systematische Unterdrückung und massive Gewalt durch das israelische Militär einsetzen. Die aktuelle schweizweite, zivile und gewaltfreie Mobilisierung für das palästinensische Existenzrecht und gegen die systematische Missachtung des Völkerrechts würde durch das Verbot eingeschüchtert und geschwächt.
Diese Befürchtung ergibt sich aus dem Gesetzesentwurf und aus der Rechtsprechung zu Art. 260ter StGB und dem AQ/IS-Gesetz:
- Das Hamas-Verbot unterscheidet sich vom Al Qaïda/IS-Verbot (ehemals SR 122), dahingehend, dass die Formulierung der «Tarn- und Nachfolgegruppierungen» (Abs. 1 lit. b) durch das Kriterium «oder im Namen der Hamas» erweitert wurde. Im Auftrag einer Organisation zu handeln (wie es auch im Al-Qaïda/IS-Gesetz verboten war), setzt noch einen gewissen formellen «top-down» Charakter des Verhältnisses zwischen der Hamas und der Tarnorganisation voraus. «Im Namen» der Hamas zu handeln, stellt jedoch ein schwer fassbares Kriterium dar, das eine Ausdehnung der Strafverfolgung auf Gruppierungen, deren Beziehung zur Hamas alles andere als eindeutig ist, erleichtert.
- Die Rechtsprechung zu Art. 260ter StGB und dem Al Qaïda/IS-Gesetz, die für die Umsetzung des Hamas-Verbots wegweisend sein wird, zeigt zudem, dass der Grossteil der Verurteilungen aus von eigentlichen Gewalttaten losgelösten Handlungen resultiert, wie etwa dem Teilen von propagandistischem Material: Das Versenden von wenigen Bildern oder Videos an nur eine Person reicht für eine Verurteilung wegen Verstosses gegen Art. 2 Abs. 1 des ehemaligen Al Qaïda/IS-Gesetzes aus; Kommentare in den sozialen Medien, die eine verbotene Organisation in ein positives Licht rücken, sind strafbar; oder das Teilen oder Abspielen in der Gegenwart Dritter von Gesängen, die einer verbotenen Organisation zugeordnet oder als Propaganda für diese verstanden werden können, wird strafrechtlich geahndet und verurteilt.[15] Die Propaganda muss auch der als terroristisch geltenden Organisation nicht direkt zugeordnet werden können: Ein Interview mit einer Autoritätsfigur unter den syrischen Widerstandskämpfern gegen Bashar al-Assad, in dem diese ein Rebellenbündnis, welchem unter anderem ein Ableger einer verbotenen Organisation angehört, in ein positives Licht rückt, ist strafbar, weil dadurch ein «Jihad» propagiert wird, der der Ideologie der verbotenen Organisation entspricht.[16]
Auf die Hamas angewandt bedeutet dies, dass als Unterstützung für eine terroristische Organisation gemäss Art. 260ter Abs. 1 lit. b eine grosse Palette an Handlungen in Frage kommen wird, die wenig mit den Verbrechen der Hamas zu tun haben, geschweige denn die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz bedrohen. Angesichts des grossen Ermessensspielraums, der den Behörden aufgrund der vagen Formulierungen zugestanden wird, verstösst Art. 1 Abs. 1 lit. b somit gegen das Legalitätsprinzip und das Bestimmtheitsgebot.
Dieser weite strafrechtliche Rahmen bedeutet zudem, dass bei Verdachtsmomenten sehr früh Strafverfahren eröffnet und Zwangsmassnahmen angewandt werden können. Dies wird zwangsläufig die Ausübung gewisser Grund- und Menschenrechte gefährden. Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäusserung und friedliche Versammlung zum Schutz der nationalen Sicherheit müssen unbedingt erforderlich sein und in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten legitimen Ziel stehen.
Die aktuelle Formulierung des Art. 1 Abs. 1 lit. b birgt die konkrete Gefahr, dass Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen, die für die Rechte der Palästinenser*innen einstehen und ihre Forderungen in der Öffentlichkeit vertreten, strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt werden. Dieses Ungleichgewicht und die daraus resultierende Ungleichbehandlung von Aktivist*innen, die sich in Bezug auf den Israel-Palästina-Konflikt gegenüberstehen, wird durch das vorgeschlagene Verbot durch die offizielle Schweiz begünstigt.
Aufgrund der Verletzung des Bestimmtheitsgebots und der unrechtmässigen Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist Art. 1 Abs. 1 lit. b zu streichen.
4. Kriminalisierung der humanitären Hilfe und der Zivilbevölkerung selbst
Dazu kommt, dass durch das vorgeschlagene Verbot das Leiden der Zivilbevölkerung im Gazastreifen mit grosser Wahrscheinlichkeit vergrössert wird. Wie der Bundesrat im Erläuternden Bericht richtigerweise anspricht, ist es wichtig, dass es in Kontexten, an denen eine Organisation die Staatsgewalt de facto ausübt, Ausnahmeregelungen vom Verbot der Unterstützung einer terroristischen Organisation für spezifische humanitäre Dienste gibt. Dies aus dem Grund, damit Personen, welche diese erbringen, nicht der Gefahr einer Kriminalisierung ausgesetzt sind. Aus diesen Gründen soll im vorliegenden Fall auch Art. 260ter Abs. 2 StGB anwendbar sein, gemäss welchem nicht bestraft wird, wer im Rahmen einer humanitären Organisation humanitäre Dienste vollbringt (und dabei gegebenenfalls eine terroristische Organisation unterstützt).[17] Diese Ausnahmebestimmung kann die auch vom Bundesrat erkannte Problematik jedoch mitnichten adäquat begegnen.
Auch wenn die Regierung der Hamas im Gazastreifen keinesfalls als stabil bezeichnet werden kann, so wird die Verwaltung der Region dennoch durch sie durchgeführt. Damit einher geht, dass die Hamas nebst ihren terroristischen Zielen auch soziale Projekte umsetzt.[18] Wenn man somit humanitäre Dienste im Gazastreifen anbieten will, kommt man an einer Zusammenarbeit mit der Hamas kaum vorbei, resp. es ist zumindest nicht zu vermeiden, dass die Hamas hierdurch zumindest mittelbar unterstützt werden könnten. Ebenso ist es der Zivilbevölkerung im Gazastreifen unmöglich, nicht mit der Hamas zusammenzuarbeiten.
Dabei ergeben sich aufgrund der vorgeschlagenen gesetzlichen Regelung mehrere Probleme:
1. Durch das vorgeschlagene Gesetz ist mit einem «chilling effect» auf die organisierte Erbringung humanitärer Hilfe zu rechnen. Denn die Strafdrohung von Art. 260ter StGB ist massiv, die Ausnahmeklausel gemäss Abs. 2 jedoch sehr restriktiv formuliert. Aus diesen Gründen muss damit gerechnet werden, dass Organisationen ihre Mitarbeitenden nicht dem Risiko einer massiven Kriminalisierung aussetzen möchten, welches lediglich davon abhängt, ob die jeweilige Organisation die restriktiven und unklaren Voraussetzungen von Art. 260ter Abs. 2 StGB erfüllt. Aus diesen Gründen besteht das Risiko, dass Organisationen keine humanitäre Hilfe im Gazastreifen mehr verrichten werden.
2. Humanitäre Hilfe wird zwar oftmals im Rahmen einer humanitären Organisation vollbracht. Dies ist jedoch keinesfalls immer der Fall und es ist auch nicht nötig, um ein Handeln als strafunwürdig erscheinen zu lassen. Hierbei ist etwa auch an Spenden von Privatpersonen aus der Schweiz oder die direkte Unterstützung von Verwandten im Gazastreifen (insbesondere Unterstützung finanzieller Natur) zu denken. Solche Unterstützung ist für das Überleben der Zivilbevölkerung oftmals zentral. Da diese Hilfe mittelbar jedoch auch die Hamas unterstützen könnte, ist zu befürchten, dass es zu einer Kriminalisierung dieser Privatpersonen kommen wird. Da eine Kriminalisierung zumindest nicht auszuschliessen ist, ist ebenfalls zu befürchten, dass es zu einem «chilling effect» auf diese Personen kommen wird, so dass diese darauf verzichten werden, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen weiterhin zu unterstützen.
3. Ein Ziel des vorgeschlagenen Gesetzes besteht gemäss dem Erläuternden Bericht darin, dass finanzielle Transaktionen zugunsten der Hamas als Geldwäscherei gelten sollen und daher durch Finanzintermediäre gemeldet werden müssen. Das vorgeschlagene Verbot bringe den Banken in der Schweiz daher «Klarheit und Rechtssicherheit» bezüglich der Frage, wie Überweisungen an die Hamas zu beurteilen seien.[19] Bezüglich der Sicherstellung der humanitären Hilfe ist jedoch das Gegenteil der Fall. Denn aufgrund der strengen Geldwäschereigesetzgebung ist zu befürchten, dass Schweizer Banken aufgrund der Furcht vor eigener Strafbarkeit in Zukunft darauf verzichten werden, Gelder an Bedürftige in Palästina (oder auch an humanitäre Organisationen) weiterzuleiten und die Unterstützung der Zivilbevölkerung somit verunmöglicht wird.[20]
4. Wie bereits erläutert wurde, üben die Hamas die Staatsgewalt im Gazastreifen aus. Damit einhergeht, dass auch die Zivilbevölkerung notwendigerweise mit der Hamas zusammenarbeiten muss. Eine Zusammenarbeit mit einer Organisation, welche unter Art. 260ter StGB subsumiert wird, wird jedoch wie erl weitgehend kriminalisiert. So hat der Gesetzgeber beim Erlass dieser Bestimmung festgehalten, dass die Aktivität, welche eine terroristische Organisation unterstützt, mitnichten selbst «kriminell» sein muss, um als Unterstützung der terroristischen Organisation kriminalisiert zu werden. Im Rahmen der parlamentarischen Arbeiten zur Revision des geltenden Art. 260ter StGB erwähnten die Parlamentarier etwa, dass ein Pizzabäcker, ein Koch oder eine Kellnerin in einem Restaurant, das einer terroristischen Organisation gehört,[21] eine Putzfrau oder eine Person, die den Teppich in den Räumlichkeiten einer solchen Organisation reinigt,[22] ein gelegentlicher Taxifahrer, der Mitglieder einer Organisation fährt,[23] Personen, die in Krankenhäusern arbeiten,[24] oder auch ein Lehrer einer Schule, die unter der Kontrolle einer terroristischen Organisation steht nach Art. 260ter StGB bestraft werden sollten. Ständerat Jositsch fasste dies so zusammen, dass es bei der Bestrafung der Unterstützung einer Organisation „in ihrer Tätigkeit“ darum geht, alle Personen zu erfassen, die „im weiteren Umfeld“ einer Organisation tätig sind und diese unterstützen, „damit sie funktionieren kann“.[25]
Da die Hamas die Staatsgewalt im Gazastreifen ausübt, tragen alle Personen, die in irgendeiner Weise eine offizielle Funktion im Gazastreifen ausüben (sei es auch nur eine Primarschullehrerin) dazu bei, dass die Hamas ihre Herrschaft ordnungsgemäss ausüben kann und fallen somit objektiv betrachtet unter den Tatbestand der «Unterstützung». Dies geht jedoch noch weiter: Denn alle Einwohnenden des Gazastreifens, die eine Steuer oder eine Abgabe zahlen, finanzieren letztendlich die Hamas und begehen somit eine Straftat. Somit besteht die Gefahr, insbesondere wenn eine Person aus dem Gazastreifen in die Schweiz fliehen würde, dass diese kriminalisiert würde, auch wenn sie die Handlungen der Hamas nicht einmal gebilligt hat.
Um verheerende Effekte auf die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu vermeiden, müsste das vorgeschlagene Gesetz, wenn von einem Erlass nicht abgesehen werden sollte, daher immerhin die Erbringung humanitärer Hilfe in einem weitgehenden Ausmass ermöglichen und sicherstellen, dass die Zivilbevölkerung im Gazastreifen für normale Alltagshandlungen nicht kriminalisiert wird.
5. Art. 1 Abs. 2: Übermässigkeit der Kompetenzen des Bundesrats
Art. 1 Abs. 2 Der Bundesrat kann mit der Hamas verwandte Organisationen und Gruppierungen verbieten, die in Führung, Zielsetzung oder Mitteln mit der Hamas übereinstimmen und mittelbar oder unmittelbar terroristische oder gewalttätig-extremistische Aktivitäten unterstützen und damit die innere oder äussere Sicherheit konkret bedrohen. Das Verbot ist zu befristen; es kann verlängert werden.
Über die problematische Ausgestaltung des Verbots gemäss Art. 1 Abs. 1 und 3 des vorgeschlagenen Gesetzes hinaus, spricht dieses dem Bundesrat auch deutlich zu umfangreiche Verbotsbefugnisse zu. Gemäss Art. 1 Abs. 2 des vorgeschlagenen Gesetzes soll der Bundesrat die Möglichkeit erhalten, Organisationen zu verbieten, welche mit der Hamas verwandt sind, da sie in Führung, Zielsetzung ODER Mitteln mit der Hamas übereinstimmen und mittelbar ODER unmittelbar durch Unterstützung gewisser Aktivitäten die innere oder äussere Sicherheit konkret bedrohen.
Der Bundesrat hält zwar im Erläuternden Bericht fest, dass diese Kompetenz restriktiv gehandhabt werden soll, so dass ein Verbot erst möglich sei, wenn sich die zu verbietenden Organisationen mit der Hamas auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt hätten.[26] Diese Beschränkung ergibt sich jedoch nicht aus dem Gesetz, da etwa auch nur die Übereinstimmung der Zielsetzung als Grundlage für ein Verbot ausreicht. Bei einer weiten Interpretation dieses Tatbestandsmerkmals könnte etwa auch das Ziel einer Zweistaatenlösung in Israel und Palästina als übereinstimmende Zielsetzung mit der Hamas aufgefasst werden.[27] So wäre etwa zu befürchten, dass der Bundesrat Organisationen verbieten (und die Beteiligung daran mit massiven Strafdrohungen versehen) wird, wenn diese etwa Pro-Palästinensische Kundgebungen organisieren, da dies als Unterstützung der Ziele der Hamas und als mittelbare Unterstützung derselben aufgefasst werden könnte, was als Bedrohung der Sicherheit der Schweiz aufgefasst werden könnte.[28]
Betreffend die vagen und ungenauen Formulierungen in Art. 1 Abs. 2 wird des Weiteren auf die obigen Ausführungen zur Verletzung des Bestimmtheitsgebots und dem Risiko einer unrechtmässigen Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit verwiesen (Punkt 3).
Art. 1 Abs. 2 des vorgeschlagenen Gesetzes stellt somit eine überaus weitläufige Ermächtigungsnorm dar, mit welcher dem Bundesrat freie Hand gegeben wird, zahlreiche legitime Organisationen massiv zu kriminalisieren. Hierzu ist auch zu beachten, dass die Allgemeinverfügungen des Bundesrats keiner gerichtlichen Kontrolle unterworfen sind.
Insofern steht es dem Bundesrat frei, diese Verbotskompetenz so zu interpretieren, wie es ihm beliebt. Dies ist im Vergleich mit sonstigen Möglichkeiten der Organisationsverbote im Schweizerischen Recht erschreckend: Denn ob die Tatbestandsvoraussetzungen gemäss Art. 260ter StGB erfüllt sind, wird grundsätzlich von einem Gericht festgestellt. Der Erlass von Verbotsverfügungen gemäss Art. 74 NDG (bei welchen der Verstoss sogar mit einer geringeren Strafdrohung als beim vorgeschlagenen Gesetz versehen ist) kann explizit durch ein Gericht überprüft werden (und überdies ist eine Konsultation der parlamentarischen Kommissionen notwendig).[29] Es ist vor diesem Hintergrund unverständlich, wieso im vorliegenden Gesetz eine parlamentarische Zustimmung und eine gerichtliche Kontrolle nicht ebenfalls vorgesehen sind, da der Effekt derselbe wie bei einem Verbot gemäss Art. 74 NDG ist und die Strafdrohung noch gravierender ist. Somit wird mit dem vorgeschlagenen Gesetz auch auf der Verfahrensebene eine rechtsstaatlich überaus bedenkliche Lockerung für den Erlass von Organisationsverboten geschaffen.
Aus diesen Gründen ist Art. 1 Abs. 2 des vorgeschlagenen Gesetzes zu streichen. Sollte dieser Artikel bestehen bleiben, muss die Bestimmung so formuliert werden, dass die Verfügung nur nach Konsultation des Parlaments erlassen wird und eine gerichtliche Kontrolle vorgesehen ist.
[1] BGE 145 IV 470; PK StGB-Trechsel/Vest, 4. Aufl. 2021, Art. 260ter N 8a.
[2] Vgl. Berti/Kurz, Hamas and Governance in Gaza, in: Kurz/Dekel/Berti (Hrsg.): The Crisis of the Gaza Strip: A Way out, Tel Aviv 2017; Hovedank, The Public Services under Hamas in Gaza, Oslo 2010; Tannira, The Political Economy of the Gaza Strip Under Hamas, in: Tartir/Dana/Seidel (Hrsg.): Political Economy of Palestine, Cham 2021.
[3] Vgl. Urteil des EuGH T‑400/10 v. 14.12.2018.
[4] Vgl. BBl 2018 6427 ff.
[5] BSK BV-Waldmann, Art. 8 N 28; BGE 125 I 369, E. 3.b.
[6] Vgl. hierzu St. Galler Kommentar BV-Schmid, Vorbemerkungen zu den Bundesbehörden, N 14 ff.
[7] Siehe hierzu: Erläuternder Bericht, S. 7.
[8] Zum Ganzen: Erläuternder Bericht, S. 8.
[9] Vgl. hierzu St. Galler Kommentar BV-Schmid, Vorbemerkungen zu den Bundesbehörden, N 14 ff.
[10] Vgl. Art. 33 lit. b Ziff. 4bis VGG.
[11] Vgl. Erläuternder Bericht, S. 8.
[12] Vgl. https://www.srf.ch/news/international/schweizer-nahostpolitik-was-bedeutet-ein-hamas-verbot-fuer-die-schweiz.
[13] EDA, MENA Strategie 2021-2024, Bern 2020, S. 26 ff.
[14] BGE 138 IV 13 E. 4.1 mit Hinweisen.
[15] Ajil/Lubishtani, Le terrorisme djihadiste devant le Tribunal pénal fédéral, Jusletter, 31. Mai 2021.
[16] Siehe Urteile des Bundesgerichts: 6B_169/2019 vom 26. Februar 2020; 7B_209/2022 und 7B_210/2022 vom 9. Februar 2024.
[17] Erläuternder Bericht, S. 13.
[18] Berti/Kurz, Hamas and Governance in Gaza, in: Kurz/Dekel/Berti (Hrsg.): The Crisis of the Gaza Strip: A Way out, Tel Aviv 2017; Hovedank, The Public Services under Hamas in Gaza, Oslo 2010.
[19] Erläuternder Bericht, S. 7.
[20] Vgl. https://www.swissinfo.ch/ger/wirtschaft/schweiz-kann-hamas-nicht-so-einfach-auf-die-terrorliste-setzen/48887660.
[21] AB 2020 S 74 (Zopfi) und 75 (Jositsch); AB 2020 N 992, 998 (Porchet), 1000 (Min Li) und 1004 (de Quattro).
[22] AB 2020 N 989 (Schlatter), 992 und 998 (Porchet), 1002 (Keller-Sutter) und 1004 (Tuena und de Quattro).
[23] AB 2020 N 989 (Schlatter), 992, 998 (Porchet), 1002 (Keller-Sutter) und 1004 (de Quattro).
[24] AB 2020 S 73 f., (Sommaruga und Burkart).
[25] AB 2020 S 74 (Jositsch).
[26] Erläuternder Bericht, S. 12.
[27] Vgl. Erläuternder Bericht, S. 5.
[28] Vgl. zum Verbot von Meinungsäusserungen auch Erläuternder Bericht, S. 7, 16.
[29] Art. 33 lit. b Ziff. 4bis VGG.