Manifest: Grundrechte für alle, auch an den Grenzen!
Ein stilles Drama geht seit Jahren auf den Meeren und an den Grenzen Europas vor sich und schafft es nur gelegentlich in die Medien. Seit 1993 sind über 60'620 Kinder, Frauen und Männer gestorben. Oder müssen wir die Frage stellen, ob sie getötet wurden? Von einer immer härteren Politik der Länder Europas, die verhindert, dass diese Menschen legal in Europa einreisen können, um hier ein Asylgesuch zu stellen.
Sie müssen vor lebensgefährlichen Situationen fliehen und setzen ihr Leben aufs Spiel. Sie verharren in unwürdigen Flüchtlingslagern ohne angemessene Versorgung oder das Wissen, ob, wann und wie es weiter geht. Darüber sind wir entsetzt und fordern sichere Fluchtwege! Mit verschiedenen Aktionen und einem Mahnmal gedenken wir der Opfer und protestieren öffentlich gegen die unhaltbare Situation.
Manifest «Menschen schützen – auch an den Grenzen»
Die im Dezember 2023 beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) steht vor der Umsetzung.1 Sie sieht unter anderem vor:
- dass geflüchtete Menschen, auch Familien mit Kindern, an den EU-Aussengrenzen in riesigen Flüchtlingslagern unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht werden;
- dass dort Grenzverfahren ohne genügenden Rechtsschutz stattfinden. Diese Verfahren sollen, u.a. für alle Menschen durchgeführt werden, die aus einem Land kommen, für das es weniger als 20% Chance auf ein Bleiberecht gibt. Ziel ist es, mit schnellen Ablehnungen und Rückführungen in das Heimatland oder ein vermeintlich sicheres Drittland, weitere Schutzsuchende abzuschrecken;
- dass die Personen, denen ein reguläres Asylverfahren gewährt wird, unter gewissen Bedingungen nach einem Verteilschlüssel den europäischen Ländern zugewiesen werden. Die Länder, die niemanden aufnehmen wollen, können sich davon freikaufen oder Personal an die Aussengrenzen schicken.
Damit werden Symptome statt Ursachen bekämpft. Migration lässt sich so nicht verhindern und die verheerenden Zustände an den EU-Aussengrenzen (wie z.B. in Griechenland) werden nicht verbessert – im Gegenteil. Das neue GEAS hat für Schutzsuchende drastische Verschlechterungen zur Folge. Die geplanten Massnahmen verletzen die Grundprinzipien nationaler, europäischer und internationaler Rechtsabkommen, die jedem Menschen aufgrund seines Menschseins zustehen.2
Die Entwicklungen an den EU-Aussengrenzen gehen auch die Schweiz etwas an, nicht bloss aufgrund des Schengen- und des Dublin-Abkommens, sondern auch als Geburtsstätte der Genfer Flüchtlingskonvention.
Der Abbau von Grundrechten bedroht uns alle! Wir sagen: Nicht in unserem Namen! Wir wollen eine offene Gesellschaft und sagen Nein zu Abschreckung und Abschottung! Es braucht eine angstfreie, zukunftsweisende Gestaltung der Migration.
Wir fordern den Bundesrat/die Bundesregierung auf,
- sich im Rahmen unserer Schengen/Dublin-Assoziierung für die Einhaltung von Menschenrechtsstandards und die vollumfängliche Respektierung der Rechte von Asylsuchenden einzusetzen;
- die Aushöhlung der Genfer Flüchtlingskonvention und weiterer völkerrechtlicher Verträge konsequent sowohl im innen- als auch im aussenpolitischen Kontext zu bekämpfen;
- im Rahmen des Solidaritätsmechanismus freiwillig eine angemessene Zahl Asylsuchende zu übernehmen.
Die Anerkennung der Würde und der gleichen Rechte aller Menschen ist die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt. Gefragt sind Schritte, die in diese Richtung führen.
Du kannst das Manifest gleich hier unterzeichnen, herunterladen oder in gedruckter Form hier bestellen.
Erstunterzeichnende Organisationen: Aktionsgruppe Nothilfe, AsyLex, Be Aware And Share (BAAS), Begegnung mit Menschen auf der Flucht, Beim Namen nennen, Bündnis noGEAS, Campax, ChristNet, Demokratische Jurist*innen der Schweiz, Diakonie Dortmund und Lünen, Ev. Kirchenkreis Dortmund/Referat Ökumene, Freiplatzaktion Basel, Freiplatzaktion Zürich, Frieda - die feministische Friedensorganisation (ehemals cfd), humanrights.ch, Jesuiten-Flüchtlingsdienst Schweiz, IAMANEH, medico international schweiz, netzwerk migrationscharta.ch, oikos-Institut für Mission und Ökumene EKvW, Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Seebrücke Schweiz, solinetze.ch, sosf - Solidarité sans frontières, Verein Offenes Scherli
Erstunterzeichnende Personen: Alec von Graffenried, Anni Lanz, Balthasar Glättli, Carlo Sommaruga, Cécile Bühlmann, Cédric Wermuth, Christoph Sigrist, Delphine Klopfenstein Broggini, Elham Manea, Greis, Jacques Poget, Jean Ziegler und Erica Deuber Ziegler, Jean-Marie Lovey, Kaspar Surber, Lara Stoll, Lisa Mazzone, Superintendentin Heike Proske für den Kirchenkreis Dortmund, Mario Botta, Mattea Meyer, Michael Elsener, Milo Rau, Norbert Valley, Omri Ziegele, Paul Rechsteiner, Ralph Kunz, Rubin Gjeci, Ruth-Gaby Vermot-Mangold, Vania Alleva, Xavier Koller
1 Nach der Einigung im Europarat vom 8. Februar 2024 und der Zustimmung des zuständigen Ausschusses des europäischen Parlaments am 14. Februar, hat die Plenarversammlung des Parlaments am 10. April der Vorlage zugestimmt.
2 Gefährdet sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Art. 9: Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden; Art. 14: Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu geniessen. In der Europäischen Menschenrechtskonvention: Art. 3: Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden; Art. 5: Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. In der Genfer Flüchtlingskonvention: Art. 33,1: Keiner der vertragschliessenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit (...) bedroht sein würde.